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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Diese Methoden enthalten jedoch sehr genau ausgearbeitete Strategien und<br />

Regelsysteme, die von großem Interesse für eine allgemeine <strong>Interpretation</strong>slehre<br />

in der Psychologie sein können. Dies ist in den kritischen Stellungnahmen bisher<br />

kaum gewürdigt worden. Hier sind hervorzuheben:<br />

• das im äußeren Ablauf gut standardisierte Verfahren, um divergentes individuelles<br />

Material für formale und inhaltliche Analysen bzw. als<br />

Explorationshilfe zu erheben;<br />

• die psychologisch gezielte Konstruktion von Aufgaben mit geeignetem<br />

Aufforderungscharakter (als “Entfaltungstests”);<br />

• die methodische Auseinandersetzung mit den manifesten und den latenten<br />

Aspekten im Aufforderungscharakter und in den Deutungen (wie beim TAT);<br />

• die Heuristiken im Umgang mit mehrdeutigem Material;<br />

• die differenzierte Berücksichtigung mehrerer Kontexte;<br />

• die Kombinatorik von Testmerkmalen mit bestimmten Gewichtungsregeln;<br />

• die Verlaufsanalyse seriell erhobener Antworten zur Beschreibung von<br />

Prozesseigenschaften;<br />

• Kontrollstrategien mit systematischer Suche nach Konvergenzen und Divergenzen<br />

sowie mit einer Überprüfung in der seriellen Auswertung.<br />

Offensichtlich sind hier wichtige Strategien und Regelsysteme einer <strong>Interpretation</strong>smethodik<br />

ausgearbeitet worden. In dieser expliziten Form, in einer lehrbaren<br />

und lernbaren Weise, sind sie in anderen Bereichen der hermeneutischinterpretativen<br />

Verfahren weitaus weniger entwickelt. Wer neuere Bücher über<br />

Interviewmethodik und Inhaltsanalyse liest (siehe Kapitel 8) wird dort viele<br />

dieser Aspekte wiedererkennen, jedoch oft unvollständiger und offensichtlich<br />

ohne Kenntnis dieser älteren Tradition der <strong>Interpretation</strong>skunst.<br />

Jeder Persönlichkeitsfragebogen ist für den Untersucher und den Untersuchten<br />

ökonomischer als ein projektiver Test. Die Auswertung von Fragebogen ist in der<br />

Ausbildung von Psychologen sehr viel leichter zu unterrichten und schneller zu lernen.<br />

Außer den schwerwiegenden Validierungsproblemen könnte hier ein weiterer<br />

Grund für den Verzicht auf die projektiven Tests liegen. Mit dieser Ausbildung<br />

ging aber auch ein formales Training in der interpretativen Methodik weitgehend<br />

verloren. Unter dem Begriff der qualitativen Psychologie scheinen Strategien<br />

dieser <strong>Interpretation</strong>slehre teilweise wiederentdeckt zu werden.<br />

Am Beispiel des Freiburger Persönlichkeitsinventars wurde eingehend<br />

erläutert, wie viele interpretatorische Schritte bereits in der Testentwicklung vorausgesetzt<br />

werden und wie viele noch vom Anwender zu leisten sind. Ohne die<br />

Kenntnis dieser heuristischen und methodenkritischen Strategien ist eine fachlich<br />

angemessene Testinterpretation unmöglich.<br />

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