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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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die unter den dazugehörigen Bedingungen sich in einem Verhalten ausdrücken<br />

...” (1936, S. 233), doch ist für Heiß nicht so sehr die Struktur (der “Aufbau”) der<br />

Persönlichkeit wesentlich, sondern der “Verfestigungsprozess”, in dem sich diese<br />

Eigenschaften herausbilden (S. 211, S. 236). Er beschrieb sehr eingehend typische<br />

Formen dieses Prozesses:<br />

• die direkten und ungebrochenen Eigenschaften, in denen sich eine Anlage<br />

ausformt;<br />

• die durch äußere Einflüsse oder innere Hemmung gebrochenen Eigenschaften,<br />

wenn Anlagen nicht stark genug sind, sich durchzusetzen, sondern<br />

überformt werden;<br />

• die kontrastorischen und kompensatorischen Eigenschaften, bei denen noch<br />

wie in einer Doppelschicht, mehr oder minder verborgen und unbewusst, die<br />

ursprüngliche Linie erhalten bleibt.<br />

Eigenschaften sind demnach vieldeutig, und zu ihrer Beurteilung ist die Kenntnis<br />

ihres Verfestigungsprozesses notwendig. Heiß stützte seine <strong>Interpretation</strong>en auf<br />

motivationspsychologische und speziell auch tiefenpsychologische Argumente,<br />

wie es auch in seiner Unterscheidung zwischen einer aktuellen und einer latenten<br />

Persönlichkeit zum Ausdruck kommt (S. 264). Heiß bezog sich auf die<br />

Prozesse von Antrieb und Hemmung, auf die Krisen und Umbrüche der<br />

Persönlichkeit, auf Entwicklungen mit Rückbildung, Zerstörung und Umschichtung<br />

der Persönlichkeit sowie auf Grenzformen wie das Zwangsverhalten. Diese<br />

Abläufe sind durch Prozesseigenschaften zu beschreiben, in denen innere Antriebsgestalten<br />

erscheinen. Umgekehrt sind durch eine psychologische Diagnostik<br />

solcher Prozessmerkmale die zugrundeliegenden Antriebsgestalten und<br />

dynamischen Veränderungen hinsichtlich Labilisierung, Stabilisierung und<br />

Verfestigung zu erfassen.<br />

In diesem theoretischen Ansatz sind Einflüsse der älteren Charakterologie, der<br />

Konstitutionslehre und Schichtenlehre der Persönlichkeit auszumachen, auch<br />

Einflüsse der Gestaltpsychologie und der Tiefenpsychologie. Neu war die zentrale<br />

Konzeption der Eigenschaft als Verfestigungsprozess. Dieses Konzept stützte<br />

sich auf zahlreiche Beispiele, war aber keine im engeren Sinn empirische<br />

Arbeit oder biographische Persönlichkeitsforschung, sondern eine theoretische<br />

Analyse und Grundlegung (siehe hierzu Graumann, 1960; Thomae, 1968).<br />

Für diese Sichtweise sind Begriffe wie Entwicklung, Prozess, Bewegung,<br />

Widerspruch, Kontrast, Krise usw. kennzeichnend. Hier wird deutlich, dass Heiß<br />

ursprünglich Philosoph war. Er hatte sich in seiner Dissertation (1926) mit der<br />

Logik des Widerspruchs, mit Dialektik und Paradoxien beschäftigt und später<br />

(1959) mit dem Wesen und den Formen der Dialektik bei Hegel, Kierkegaard und<br />

Marx. Heiß gehörte zeitweilig zum Kreis um den Philosophen Nicolai Hartmann,<br />

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