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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Spielszenen und anderen Gestaltungen. Diese Texte werden jedoch nicht durch<br />

ein Interview oder als natürliche Sprachproben gewonnen, sondern in einem<br />

standardisierten Verfahren mit einer wörtlich genau zu gebenden Instruktion.<br />

Wer an der Methodik psychologischer <strong>Interpretation</strong>en interessiert ist, wird bei<br />

den projektiven Tests eine Vielzahl von Strategien und Regeln finden. Die<br />

Testdurchführung ist zwar strukturierter als die meisten Interviews, aber das<br />

Antwortverhalten ist weniger festgelegt als bei Persönlichkeitsfragebogen. Projektive<br />

Tests lassen einen großen Spielraum zur individuellen Entfaltung.<br />

Deshalb sind ausgefeilte Strategien und Regeln für die Auswertung notwendig.<br />

Eine methodenkritische Skepsis hinsichtlich der Persönlichkeitsdiagnostik und<br />

klinischen Diagnostik mit projektiven Verfahren ist sicher angebracht. Aber<br />

diejenigen, die solche Tests anwendeten, hatten wahrscheinlich in ihrer Mehrzahl<br />

zumindest gelegentlich einen Eindruck der Evidenz: ein projektiver Testbefund<br />

passte in aufschlussreicher Weise in das psychologische Bild einer Person.<br />

Solche Einzelfälle zu einer systematischen Validierung zu entwickeln, ist<br />

offensichtlich in der Theorie und Praxis der projektiven Tests nicht gelungen.<br />

Nicht selten ist die oft eigentümliche Begriffswelt und Formulierungskunst<br />

solcher Gutachten kritisch hervorgehoben worden. Es wäre jedoch unfair, dies<br />

generell unterstellen zu wollen. Das im letzten Abschnitt dieses Kapitel zitierte<br />

psychologische Pseudogutachten mit gewichtig klingenden, aber letztlich<br />

nichtssagenden Formulierungen ist eine didaktisch gemeinte Warnung.<br />

Oft wird bei einem psychologischen Test nur an die <strong>Interpretation</strong> der Testwerte<br />

gedacht und dabei übersehen, wie viele <strong>Interpretation</strong>sschritte bereits bei<br />

der Testentwicklung vorausgingen. Am Beispiel des Freiburger Persönlichkeitsinventars<br />

wird geschildert wie in jeder Phase der Testentwicklung interpretiert<br />

werden muss: bei der Formulierung geeigneter Items für das Eigenschaftskonstrukt,<br />

bei der Itemauswahl durch Item- und Faktorenanalysen, bei der<br />

Skalenbildung und bei allen Validierungsuntersuchungen. Auch der Antwortprozess<br />

des Befragten ist eine interpretative Leistung mit typischen Schwierigkeiten.<br />

Eine fachlich qualifizierte Anwendung psychologischer Tests in bestimmten<br />

Assessmentstrategien ist nur dann möglich, wenn alle Stufen dieses<br />

Prozesses mitbedacht werden.<br />

Ein kleiner Exkurs soll zeigen, dass auch die Befunde einer psychophysiologischen<br />

Untersuchung interpretiert werden müssen. Als Beispiel dient hier die<br />

Messung des Blutdrucks während eines biographischen Interviews. Diese doppelte<br />

Sichtweise ist eine besondere Herausforderung an die <strong>Interpretation</strong>smethodik.<br />

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