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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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evorzugt wird. Diese Proportion ist tatsächlich in der Biologie und auch in einigen<br />

Kunstwerken zu finden, sie kann jedoch nicht als allgemeinere Regel gelten<br />

(Beutelspacher & Petri, 1995; Höge, 1997; Wille, 1988).<br />

Auf der Suche nach gemeinsamen Faktoren der ästhetischen Wirkung wurden<br />

u. a. Symmetrie und Gleichgewicht analysiert. Doch scheinen gerade kleine Abweichungen<br />

ästhetisch reizvoller zu sein, d. h. eine dynamische Ausgewogenheit<br />

ist interessanter als Symmetrie und Ebenmaß. Als Beispiel kann die absichtliche<br />

Kurvatur gelten, d. h. eine leichte Krümmung statt einer Geraden oder eines<br />

exakten Dreiecks, an einem griechischen Tempel oder einem gotischen Turm wie<br />

dem Freiburger Münster. Informationstheoretische Ansätze haben aus solchen<br />

Gründen kaum überzeugen können, ebenso wenig wie der von Birkhoff (1933)<br />

vorgeschlagene Quotient aus Ordnung und Komplexität als Maß der ästhetischen<br />

Attraktivität, der in verschiedenen Varianten nicht nur für einfache Polygone,<br />

sondern auch für die Silhouette von Vasen und anderes gelten soll.<br />

<strong>Psychologische</strong> Kunstbetrachtung ist eine bewegende Kunsterfahrung, die<br />

motivationspsychologisch als lustbetonte Erlebnisreaktion beschrieben werden<br />

kann. Sozialpsychologisch sind die Symbolfunktionen kulturell erlernter Bedeutungszuschreibungen,<br />

aber auch Einflüsse aus der “Magie und Mythologie” der<br />

Bilder hervorzuheben. Aus psychologischer und psychopathologischer Sicht<br />

gaben auch die Bildnerei der schizophrenen Geisteskranken (Prinzhorn, 1994)<br />

und die Bildgestaltung und das Bilderleben in der Psychotherapie neue Anregungen<br />

zur Vertiefung des Kunstverständnisses und der <strong>Interpretation</strong>slehre.<br />

Die hier nur skizzierten Perspektiven zeigen in ihrer Gesamtheit grundsätzlich<br />

die Undefinierbarkeit von Kunst. Die Auflösung des Kunstbegriffs erfolgte durch<br />

die Erweiterung auf Ungegenständliches oder seriell Produziertes und in der<br />

Ausdehnung auf den Alltag, auf banale Objekte und Umgebungen. Viele heutige<br />

Künstler suchen offensichtlich nicht mehr die traditionellen ästhetischen Ziele.<br />

“Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig. Das Band zur optischen<br />

Realität ist sehr dehnbar. Die Formwelt ist für sich souverän, an sich jedoch<br />

noch nicht Kunst im obersten Kreis. Im obersten Kreis waltet über der<br />

Vieldeutigkeit ein Geheimnis – und das Licht des Intellekts erlischt kläglich.”<br />

(Paul Klee, Ausstellungskatalog, Kunstverein Hamburg, 1956, S. 3).<br />

Kontexte<br />

Darstellende Kunst hat viele direkte und indirekte Kontexte, deren Tiefe und<br />

Reichhaltigkeit wohl nur den kunsthistorischen Experten und Sammlern eines<br />

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