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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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11.4.1 Thomae: Das Individuum und seine Welt<br />

Die theoretischen und methodischen Arbeiten von Thomae (1915-2001) und seinen<br />

Bonner Mitarbeitern wurden bereits in mehreren Kapiteln zitiert. Die umfangreiche<br />

Methodik (Interview, Exploration, Verhaltensbeobachtung, Tests) soll<br />

biographische Einheiten (Handlungen, Episoden, Tagesläufe, bedeutsame<br />

Lebensabschnitte, das Ganze des Lebens, aber auch “Mikrovariation”) erfassen.<br />

In zahlreichen Untersuchungen wurde ein sehr breites empirisches Material von<br />

verschiedenen Personengruppen ausgewertet.<br />

Thomae hatte sich von 1952 bis 1963 an einer ausgedehnten medizinischpsychologischen<br />

Längsschnittstudie an Kindern und Jugendlichen beteiligt und<br />

anschließend mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen (Lehr, Schmitz-<br />

Scherzer u. a.) eine Serie von großen Studien unternommen. Zu den Themen gehörten:<br />

die Lebensgestaltung von männlichen Angestellten und von Frauen, die<br />

typischen Konflikte in verschiedenen Lebensaltern, die Anpassungsprobleme bei<br />

der Pensionierung von Stahlarbeitern sowie die Persönlichkeitsentwicklung im<br />

höheren Lebensalter. Insgesamt wurde ein mehr oder minder ausführliches biographisches<br />

Material von etwa 3000 Personen erhoben (Vorwort zu Individuum<br />

und seine Welt, 1968). Nach zahlreichen weiteren Untersuchungen schlossen sich<br />

die Bonner Gerontologische Längsschnittstudie BOLSA und seit 1993 die Interdisziplinäre<br />

Langzeitstudie über die Entwicklung im Erwachsenenalter ILSE im<br />

Verbund mehrerer Universitätsinstitute an.<br />

Für Thomae stand die Kognitive Psychologie der Persönlichkeit im Mittelpunkt,<br />

wobei er nach seinen Worten die “Irrtümer des modernen Kognitivismus”<br />

zu vermeiden suchte: “Dies geschieht vor allem durch den empirischen Aufweis<br />

der engen Verflechtung zwischen thematischer Struktur und kognitiver<br />

Repräsentation und der Interaktion von Person und Situation in der Auswahl der<br />

Antworten des Individuums auf seine Welt” (Vorwort zur 2. Auflage, 1987). Von<br />

Anfang an interessierte sich Thomae für die Motivationspsychologie und speziell<br />

für die Antriebsstrukturen des Menschen, die er in einer dynamischen<br />

<strong>Interpretation</strong> der Persönlichkeit zu verbinden suchte (Thomae, 1951). Thomae<br />

war Assistent von Rothacker und von Lersch und nannte autobiographisch u. a.<br />

auch die Bücher von Gehlen, Allport und Klages. In seinem Ansatz sind<br />

Einflüsse der phänomenologisch orientierten Psychologie, wie auch bei Lersch,<br />

zu erkennen (Thomae, 1992).<br />

Wer Tages- und Lebensläufe verschiedener Personen vergleichen möchte oder<br />

verallgemeinernde Aussagen über typische Persönlichkeitsentwicklungen geben<br />

will, benötigt ein geeignetes Kategoriensystem. Thomae (1968, 1996) hat diese<br />

Notwendigkeit immer wieder betont. Seine biographische Forschung ist als<br />

Verbindung von idiographischem und nomothetischem Ansatz zu verstehen<br />

(siehe auch Kapitel 5, 6 und 12.3). Diese Systematik fehlt jedoch bei den meisten<br />

sozialwissenschaftlichen Autoren, welche die biographische Erzählung oder<br />

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