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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Items “Ich habe häufig Kopfschmerzen” zu zeigen. Weder “Kopfschmerzen”<br />

(sind auch ein leichtes Spannungsgefühl und Kopfdrücken gemeint oder intensive<br />

Schmerzen?) noch “häufig” (1 mal am Tag, 1 mal in der Woche?) sind definiert,<br />

so dass ein grosser Entscheidungsspielraum besteht. Der Sachverhalt, dass<br />

dieses Item von nahezu allen Befragten bejaht oder verneint werden kann, besagt<br />

noch nichts über die empirische Gültigkeit, eher schon, die deutlichen Unterschiede<br />

zwischen Subpopulationen. Die Aussage über Kopfschmerzen bejahen<br />

36 % der Frauen und nur 16 % der Männer (mit großer Effektstärke in einer<br />

bevölkerungsrepräsentativen Erhebung, N = 3.740). Davon heben sich Patientinnen<br />

einer Psychosomatischen Ambulanz (55 % Zustimmung) deutlich ab (N =<br />

84, 40-60 Jahre). Dies trifft dann auch für die gesamte Skala “Körperliche<br />

Beschwerden” und ähnlich für die Skala “Emotionalität” zu.<br />

In einer Untersuchung über die “Hermeneutik von Persönlichkeitsbeschreibungen”<br />

zeigte sich, dass Studenten in der Lage waren, sich für alle in einem<br />

Fragebogen enthaltenen Aussagen sehr unterschiedliche psychologische Motive<br />

auszudenken (am Beispiel eines Fragebogens über internale und externale<br />

Kontrolle, Gergen, Hepburn & Fisher, 1986). Auch die Feststellungen “ich gehe<br />

abends gern aus” und “ich habe häufig Kopfschmerzen” können natürlich aus<br />

heterogenen Ursachen und Absichten stammen. Die psychologische Bedeutung<br />

eines Items kann also sehr unterschiedlich interpretiert werden. Die Antworten<br />

werden jedoch ohne Bezug auf konkrete Situationen ausgewertet, d. h. von ihrem<br />

alltäglichen und individuellen Kontext abstrahiert. Die Instruktion zum<br />

Fragebogen legt es sogar nahe, ohne lange Reflektion zu antworten. Dies soll aus<br />

praktischen Gründen eine zu lange, u. U. spitzfindige Beschäftigung mit der<br />

Formulierung und den möglichen Bedeutungen eines Items vermeiden helfen,<br />

wird aber bei manchen Personen für eine verständnisvolle Antwort nicht gerade<br />

förderlich sein. Ein Fragebogen kann die psychologische Kontextinformation<br />

nicht vermitteln.<br />

Wie der Antwortprozess abläuft, ist auch mit der Methode des lauten Denkens<br />

oder durch verschiedene Instruktionsbedingungen nicht leicht zu untersuchen.<br />

Am Beispiel des FPI verwendete von Hagen (1997) verschiedene Varianten von<br />

Selbst- und Fremdeinstufungen. Zwei Untersuchungsgruppen von je 32 Berufsschülern<br />

erhielten den Fragebogen mit der Standardanleitung. Eine der Gruppen<br />

beantwortete dann 24 der Items im Einzelversuch mit dem Auftrag, sich vor der<br />

Beantwortung verschiedene Situationen vorzustellen. An jedes Item schlossen<br />

sich sinngemäß Fragen an wie “Nennen Sie bitte Beispiele...” oder “Berichten<br />

Sie bitte von solchen Situationen...”. Diese “Situationsimagination” sollte ohne<br />

Zeitdruck geschehen. Nach vier Wochen wurde der Test mit der Standardinstruktion<br />

wiederholt, außerdem Selbstratings und Fremdratings durch Bekannte<br />

anhand der FPI-Eigenschaftsdimensionen vorgenommen. Es wurde erwartet,<br />

dass die Situationsimagination bei den ausgewählten Items insgesamt auf die<br />

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