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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Nomothetik und Idiographik, Erklären und Verstehen<br />

Das Prinzip der Idiographik geht auf den Philosophen Windelband (1894) zurück.<br />

Er entwickelte die Auffassung: Naturwissenschaften arbeiten nomothetisch “allgemeine<br />

Gesetze aufstellend”, die Geisteswissenschaften dagegen idiographisch<br />

“das Einzelne beschreibend”. In den nomothetischen Naturwissenschaften wird<br />

der beobachtete Einzelfall als Sonderfall allgemeiner Gesetze erklärt, während es<br />

in den Geisteswissenschaften gerade auf das Einzelne, auf das Verstehen des<br />

Sinnzusammenhanges (Hermeneutik) ankommt. Der Gegensatz Idiographik –<br />

Nomothetik ist wissenschaftsmethodisch aufschlussreich und wissenschaftshistorisch<br />

zum Verständnis verschiedener Richtungen der Psychologie wichtig.<br />

Windelband scheint den Unterschied von Idiographik und Nomothetik nicht so<br />

scharf gemeint zu haben wie es später vielfach referiert wurde. Die Abgrenzung<br />

zweier Bereiche von Wissenschaften hat Münsterberg (1898, zit. n. Häcker,<br />

1996) entschiedener formuliert.<br />

Die Abgrenzung zweier Arten von Wissenschaft, ähnlich zu Windelbands<br />

Sichtweise, wurde auch von Dilthey (1894) akzentuiert, indem er postulierte:<br />

“Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.”(S. 1314). Auch diese Unterscheidung<br />

erscheint aus heutiger Sicht überspitzt oder sogar als eine falsche<br />

Alternative (siehe Riedels (1981) Vorwort zur Neuauflage von Diltheys Schrift).<br />

In der sich bis heute fortsetzenden Diskussion zeigte sich, dass nicht nur die<br />

Sinndeutung des Einzigartigen gemeint sein kann. Auch im Singulären sollen<br />

Gesetze der Entwicklung, Regelmäßigkeiten und Typisches erfasst werden.<br />

Schon Historiker wie Droysen und Soziologen wie Weber hatten betont, dass es<br />

ja in der Geschichtswissenschaft bzw. Soziologie nicht nur auf das Einmalige,<br />

sondern auf das Typische ankommt.<br />

Zum Verhältnis des Ganzen zum Einzelnen führte Dilthey aus: “...wir gehen im<br />

Verstehen vom Zusammenhang des Ganzen, der uns lebendig gegeben ist, aus,<br />

um aus diesem das Einzelne uns faßbar zu machen. Eben dass wir im Bewusstsein<br />

von dem Zusammenhang des Ganzen leben, macht es uns möglich, einen<br />

Satz, eine einzelne Gebärde oder eine einzelne Handlung zu verstehen. Alles<br />

psychologische Denken behält diesen Grundzug, dass Auffassen des Ganzen die<br />

<strong>Interpretation</strong> des Einzelnen ermöglicht und bestimmt.” (1894, S. 1342).<br />

Aber auch die naturwissenschaftliche, empirisch-analytische Methodik kann<br />

im induktiven-hypothetisch-deduktiven Fortschreiten zirkelhaft bzw. spiralenhaft<br />

und rückbezüglich-reflexiv ablaufen, stellt also jeweils einen Zusammenhang<br />

von neuer Aussage und vorherigem Erkenntnisstand her.<br />

Unbeeinflusst von diesen Argumenten gibt es eine radikale Idiographik, die<br />

nur in der Subjektivität einen problemangemessenen Zugang erkennen will.<br />

Letzten Endes bleibt dann nur der privilegierte Zugang zur eigenen Bewusstseinswelt<br />

(zur weiteren Diskussion siehe u. a. Bergold & Flick, 1987; Danner,<br />

1998; Grondin, 2001a).<br />

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