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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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10 Schrift-<strong>Interpretation</strong><br />

10.1 Übersicht<br />

In der chinesischen Kultur nimmt das Schreiben der bildhaften Silben-<br />

Zeichen einen herausragenden Platz ein, weil es nicht nur eine Fertigkeit, sondern<br />

eine ausdrucksvolle Darstellung des Gemeinten ist. In den langen Abschnitten<br />

und Dynastien der chinesischen Geschichte wurden verschiedene<br />

Schriftformen für den Gebrauch in der Verwaltung, für den Alltag und für die<br />

Kalligraphie entwickelt und diese Stile prägen bis heute das Verständnis jener<br />

Zeiten. Der Kalligraphie (Schönschrift) wird ein höherer Rang nachgesagt als<br />

der Malerei und anderen Künsten, weil sich in ihr Geist und Charakter ausdrücken.<br />

Auch im Westen hat die <strong>Interpretation</strong> der Handschrift eine lange Vorgeschichte,<br />

die bis in die Antike zurückreicht (siehe Jacoby, 1948). Diese Tradition<br />

wurde von Michon, Crépieux-Jamin, Klages, Heiß und anderen zu einer<br />

Graphologie mit genauen Definitionen der Schriftmerkmale und einem System<br />

von Regeln der Schriftdeutung entwickelt. Die Graphologie bildet einen Bereich<br />

der Ausdruckspsychologie neben der Deutung von Mimik, Gestik, Stimme und<br />

neben der Psychologie der bildnerischen und musikalischen Darstellung. Die<br />

Schrift nimmt hier eine Ausnahmestellung ein, weil sie, wie Graphologen betonen,<br />

einen “geronnenen” Ausdruck repräsentiert. Die Handschrift ist ein selbstprotokolliertes<br />

Verhalten während der weitgehend standardisierten Aufgabe,<br />

einen Textinhalt zu formen und mit einem Bewegungsfluss in einem vorgegebenen<br />

Raum unterzubringen.<br />

Von der Graphologie als Deutungslehre der Handschrift ist die Methodik der<br />

Schriftvergleichung zu unterscheiden. Bei dieser Schriftanalyse geht es um die<br />

Identifikation von Schriften (Unterschriften) und die Entdeckung gefälschter<br />

Schriften. Die Methodik stützt sich auf genaueste Materialprüfungen und auf z.<br />

T. unter starken Lupen vorgenommene Messungen der objektiven Schriftmerkmale.<br />

Die Schriftvergleichung wird nach wie vor für kriminaltechnische Zwecke<br />

praktiziert (Michel, 1982).<br />

Zweifellos gibt es sehr ausdrucksvolle, eigengeprägte Handschriften und<br />

daneben auch sehr schematische, schulförmige und “nichtssagende” Schriften.<br />

Den Ausdruck und die Selbstdarstellung in der Schrift und der Unterschrift, d. h.<br />

im motorisch-expressiven Ablauf, genauer zu analysieren, könnte sich also differentiell-psychologisch<br />

lohnen.<br />

Die Literatur zur Graphologie ist überwiegend älteren Datums. Die Methodik<br />

wird in den Lehrbüchern relativ ähnlich beschrieben (u. a. Heiß & Strauch, 1966;<br />

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