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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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9.2 Grundlagen der Projektiven Tests<br />

Projektion, Aufforderungscharakter und Entfaltung<br />

Der Begriff “projektiv” geht in diesem Zusammenhang auf Freud zurück: “Wenn<br />

wir die Ursachen gewisser Sinnesempfindungen wie die anderer nicht in uns<br />

selbst suchen, sondern sie nach außen verlegen, so verdient auch dieser normale<br />

Vorgang den Namen der Projektion.”...... “Somit verwandelt sich der Satz ‘Ich<br />

hasse ihn ja‘ durch Projektion in den anderen: ‚Er hasst (verfolgt) mich, was<br />

mich dann berechtigen wird, ihn zu hassen. Das treibende unbewußte Gefühl<br />

erscheint so als Folgerung aus einer äußeren Wahrnehmung.” (Freud, 1911, GW<br />

VIII, S. 299). Später haben andere Autoren dem Begriff Projektion eine erweiterte<br />

Fassung gegeben: Bedürfnisse, Einstellungen, Wünsche und auch Konflikte<br />

werden auf Personen, Verhalten und Objekte der Außenwelt projiziert – so wie<br />

ein Hungriger nicht essbare Objekte fälschlich als Nahrungsmittel wahrnimmt.<br />

In der Theorie der projektiven Verfahren wurden später eher Konzepte wie<br />

Wahrnehmungsverzerrung (misperception) und soziale Wahrnehmung (social<br />

perception) verwendet, um diese individuell sehr unterschiedlichen Prozesse der<br />

Wahrnehmung und Deutung von Reizmaterial zu erklären (u. a. Kornadt &<br />

Zumkley, 1982; Spitznagel, 1982).<br />

Projektive Tests wurden geschaffen, um vereinfachte, aber standardisierte<br />

Reizbedingungen zu schaffen. Die Bilder wurden sorgfältig ausgewählt oder<br />

konstruiert und in eine Reihenfolge gebracht. Jedes Bild hat einen Aufforderungscharakter,<br />

denn es legt zusammen mit der Instruktion nicht nur eine<br />

Geschichte bzw. Deutung nahe, sondern macht bestimmte Antworten wahrscheinlicher<br />

als andere. Dieser Aufforderungscharakter ist im Sinne Lewins<br />

(1926) nicht eine feste Eigenschaft der Situation bzw. des Materials. Er wird<br />

auch nicht vollständig von einem Individuum auf die Situation projiziert, sondern<br />

die Valenz (Bedeutung) ergibt sich in einer gespannten Wechselwirkung<br />

von Gebilden und Bedürfnissen (siehe Heckhausen, 1980). Anderen Bedürfnissen<br />

entsprechen andere Aufforderungscharaktere. Die Wahrnehmungen und<br />

Deutungen sind selektiv und inferentiell, sie enthalten soziokulturelle<br />

Lernprozesse und wahrscheinlich auch evolutionspsychologisch zu erklärende<br />

Anteile, d. h. die Bereitschaft (preparedness) für spezielle Klassen von Reaktionen.<br />

Der durchschnittliche Aufforderungscharakter eines Bildes kann empirischstatistisch<br />

beschrieben werden. In diagnostischer Hinsicht interessieren jedoch<br />

gerade die individuellen Abweichungen und Besonderheiten. Solche Differenzen,<br />

so wird postuliert, lassen auf Dispositionen schließen, welche nicht allein<br />

das phantasievolle Testverhalten, sondern allgemeinere Persönlichkeitszüge<br />

kennzeichnen. In diesem Sinn handelt es sich bei projektiven Tests um “Entfaltungstests”<br />

(Heiß, 1949/1950).<br />

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