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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Sie erzählt, dass sie manchmal morgens ihre Tabletten schluckt und tagsüber völlig<br />

vergisst, dass sie Epileptikerin ist. Ein epileptischer Anfall nage, so Anna,<br />

dann jedoch wieder an diesem Selbstbild. Als eine weitere Veränderung fügt sie<br />

eine Veränderung ihres Denkens an: “Ich rede zum Beispiel nicht mehr einfach<br />

nur etwas so daher, wie ich es früher getan habe und urteile vorschnell über<br />

andere Menschen. Früher habe ich ständig gesagt: Person XYZ ist so und so und<br />

habe die Person, wenn ich vermeintliche Mängel festzustellen glaubte,<br />

abgelehnt. Im Grunde habe ich damit die ganze Zeit gesagt, der ist gut und der<br />

ist schlecht.” Anna versucht deutlich zu machen, dass sie sich seit ihrer<br />

Krankheit, neben dem wie Menschen sind, vor allen Dingen dafür interessiert,<br />

warum Menschen so sind wie sie sind: “Und wenn du das weißt, fällt es dir<br />

wesentlich schwerer andere abzulehnen.”<br />

Anna erzählt weiterhin, dass sie sich nach dem ersten Anfall erst einmal<br />

zurückgezogen habe und nicht mehr so sehr auffallen statt dessen lieber<br />

beobachten wollte: “Das ist natürlich nicht das Schlechteste für die Schauspielerei,<br />

im Gegenteil. Robert, mein Schauspiellehrer, hat einmal zu mir während<br />

des Schauspielkurses gesagt, dass ich den Schauspielkurs machen würde, weil<br />

ich wieder bewusst die Aufmerksamkeit haben will, nachdem ich durch meine<br />

Anfälle die Aufmerksamkeit ja mehr oder weniger unfreiwillig auf mich gezogen<br />

habe. Er meinte, dass ich mit meiner Schauspielerei sagen will: Guckt mich an,<br />

ich bin ganz normal. Man sieht es mir nicht an, dass ich Epilepsie habe. Ich kann<br />

schauspielen.”<br />

Im folgenden frage ich Anna danach, was sie denkt, warum sie Schauspielerin<br />

werden möchte.<br />

Individuelles Daseinsthema<br />

“Ich muss früher einmal mit meiner Mutter in der Stadt gewesen sein, und einen<br />

Bettler in der Fußgängerzone gesehen haben. Ich wusste damals noch nicht genau,<br />

was ein Bettler eigentlich ist und da habe ich zu meiner Mutter gesagt, dass<br />

ich fände, dass er es gut hat, den ganzen Tag einfach nur dazusitzen und Leute<br />

zu beobachten.”<br />

Anna schildert weiterhin, dass sie ihr ganzes Leben genau diese “Freude am<br />

Menschen” empfunden hat: “Mich interessieren Teile von Menschen, ihre Bewegungen,<br />

wie sie rauchen wenn sie sich unbeobachtet fühlen und wie, wenn sie in<br />

Gesellschaft sind. Anna versucht ferner zu verdeutlichen, dass alle Menschen<br />

Theater in dem Sinne spielen, dass sie sich bewusst anders verhalten, wenn sie<br />

mit anderen Menschen zusammen sind: “Das heißt sie passen ihr Verhalten der<br />

Situation an. Das ist Anpassung, aber nicht Schauspielerei.” Anna verdeutlicht,<br />

dass Menschen für andere Menschen immer ihr eigenes Selbst verkörpern:<br />

“Sich-selbst-spielen geht nicht, denn wenn du das bist, was du spielst, spielst du<br />

im Grunde nicht, sondern stellst dich selbst dar.” Demgegenüber versteht sie<br />

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