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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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hen zwischen den beiden Selbstdarstellungen? Gibt es eine selbst-bewusste<br />

Metaperspektive, sich über die Lebensabschnitte und in den u. U. widersprüchlichen<br />

Anteilen des Selbst dennoch als einheitliche Person zu erleben und zu<br />

erkennen?<br />

Theoretischer Kommentar<br />

Allport förderte die autobiographische Methode und erwartete praktische<br />

Fortschritte durch die neuen technischen Aufzeichnungsmöglichkeiten. Im<br />

Unterschied zu Allport und auch zu Murray äußerte sich Thomae (1968, Lehr &<br />

Thomae, 1991) skeptisch über die Autobiographie, weil diese zu leicht zum<br />

Mittel der Selbstdarstellung werden könne. Ein anderer Einwand folgt aus der<br />

Beschränkung dieser Methode auf die schreibfähigen und an schriftliche Äußerungen<br />

gewöhnten Personen. Dies bedingt eine Auswahl hinsichtlich<br />

Bildungsgrad und sozialer Schichtzugehörigkeit. Auf der andern Seite können<br />

schriftliche Darstellungen u. U. Informationen enthalten, die mündlich nicht<br />

gegeben würden (oder vergessen werden könnten). Umgekehrt gilt das Argument<br />

nicht minder, weil nicht alles, was erzählt wird, aufgeschrieben werden<br />

kann, nach Umfang und ggf. nach Vertraulichkeit (zur Verwendung autobiographischer<br />

Texte in der sozialwissenschaftlichen Forschung siehe auch Waele<br />

& Harré, 1979; Fuchs, 1984).<br />

Die autobiographische Skizze diente in diesem Buch der Erfahrungsbildung<br />

und methodischen Vorbereitung für die Aufgabe der Biographik. Gewöhnlich<br />

haben autobiographische Aufzeichnungen – wie auch Tagebücher oder die<br />

Sammlung von Briefen – eine andere Motivation. Eindringliche Erlebnisse,<br />

Ideen und Vorsätze, Tun und Lassen, Gedanken über Vergangenheit und Zukunft<br />

werden aufgeschrieben, um sie festzuhalten und um sich mit ihnen auseinander<br />

zusetzen. Früher geschah dies auch im Sinne einer frommen Gewissenserforschung.<br />

Heute sprechen wir von Selbsterforschung und Identitätsfindung<br />

(typisch für Tagebücher im Jugendalter): “sich selbst zu erkennen”. Diese<br />

Absicht ist eine wesentliche Quelle der Psychologie, weshalb auch immer wieder<br />

die Inschrift auf dem antiken Tempel des Apollo zu Delphi zitiert wird: “Erkenne<br />

Dich Selbst”.<br />

Die Erforschung der eigenen Person und der tieferen und der unbewussten<br />

Anteile kann zugleich anziehend und irritierend sein (Wurmser & Gidion, 1999).<br />

Ich erinnere mich eines mündlichen Ausspruchs von Nietzsche, der sehr<br />

bezeichnend diese Freude des Erkennenden an der umfassenden Breite und<br />

Tiefe seiner Natur ausdrückt (...):<br />

“Einer alten, wetterfesten Burg gleiche ich, die viele versteckte Keller und<br />

Unterkeller hat; in meine eignen verborgensten Dunkelgänge bin ich noch<br />

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