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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Sprachgeschichtlich wird <strong>Interpretation</strong> als lateinische Entsprechung des griechischen<br />

Wortes Hermeneutik aufgefasst. Als Quelle werden auch die Auslegung<br />

des römischen Rechts oder die Auslegung und Ausdeutung von Orakeln und<br />

Träumen genannt (Anton, 1976; zum Wortfeld <strong>Interpretation</strong>, siehe Diemer,<br />

1977). <strong>Interpretation</strong> und Hermeneutik sowie Auslegung (ars interpretandi) werden<br />

vielfach ähnlich oder synonym gebraucht.<br />

Im Gebrauch des Begriffs <strong>Interpretation</strong> scheint jedoch im Vergleich zu<br />

Hermeneutik ein geringerer Restbestand des dogmatischen Erkenntnisanspruchs<br />

enthalten zu sein. Deswegen wird er hier gegenüber Hermeneutik bevorzugt,<br />

wenn es um eine allgemeine <strong>Interpretation</strong>slehre in der Psychologie geht. <strong>Interpretation</strong><br />

vermittelt zwischen Werk (Text) und Person (Betrachter, Leser) sowie<br />

zwischen Personen. <strong>Interpretation</strong> übersetzt und verbindet Bedeutungen,<br />

erschließt offene und noch verborgene Zusammenhänge und stiftet neue<br />

Beziehungen.<br />

Die Hermeneutik in den Geisteswissenschaften<br />

Der Philosoph und Theologe Schleiermacher (im Anschluss an Ast) und der<br />

Philosoph Dilthey gelten als wichtige Begründer der “Universalhermeneutik”, d.<br />

h. der allgemeinen <strong>Interpretation</strong>slehre der Geisteswissenschaften. Es gibt jedoch<br />

viele ältere und neuere “Stationen der Hermeneutikgeschichte” (Diemer, 1977;<br />

Gadamer, 1974, 1990; Grondin, 2001a; Ineichen, 1991; Seiffert, 1992; Soeffner<br />

& Hitzler, 1994) und viele Sichtweisen und Kontroversen. In paradoxer Weise<br />

stehen gerade die Wörter “Hermeneutik” und “Verstehen” für vieldeutige Wortfelder<br />

und Missverständnisse.<br />

Die Hermeneutik wird als die universale Methodik der Geisteswissenschaften<br />

angesehen: zutreffendes Auslegen und Verstehen. Diese Auffassung ist bis heute<br />

sehr verbreitet. Schleiermacher (1838/1977) entwarf eine Kunstlehre des Verstehens<br />

und betonte den Unterschied zu einer einfachen Auslegungspraxis: “Hermeneutik<br />

ist die Kunst, Missverstand zu vermeiden.” (zit. n. Gadamer, 1990, S.<br />

188). Der Sinn (die Wahrheit) der Texte wird durch eine Herstellung der<br />

Gleichheit mit dem Autor, durch kongeniales Verstehen, erreicht. Schleiermachers<br />

Anspruch, einen Schriftsteller besser zu verstehen, als er sich selber<br />

verstanden habe, ist häufig kommentiert worden (siehe Gadamer, 1990). Für<br />

Schleiermacher beschränkte sich die Aufgabe der Hermeneutik auf Texte und<br />

das Verstehen von Rede überhaupt.<br />

Auch Dilthey übte einen großen Einfluss auf die weitere Diskussion aus.<br />

Dilthey verwies auf den erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens und<br />

grenzte den beschreibenden und zergliedernden Ansatz von der grundsätzlich<br />

anderen Methodik der Naturerkenntnis ab. Für den geschichtlichen Zusammenhang<br />

gilt ebenso wie für den Lebenszusammenhang das Prinzip des hermeneutischen<br />

Textverstehens. Dilthey befasste sich ausführlich mit der Begründung<br />

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