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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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licht auf eine Bühne zu stellen.” Kurze Zeit später räumt sie aber ein: “Dafür<br />

kann meine Oma gut schauspielen, im Leben. Und mein Onkel Winnie (älterer<br />

Bruder der Mutter) war auch ein guter Schauspieler, nicht im Sinne von falsch,<br />

sondern im Sinne von Gute-Geschichten-erzählen-können. Vielleicht habe ich<br />

das Künstlerische ja von ihnen...” (Anna hat auf einmal Tränen in den Augen<br />

und sagt, dass sie über den Tod ihres Onkels nicht erzählen möchte, weil sie sonst<br />

weinen müsste. Ich habe daraufhin spontan den Rekorder ausgestellt.).<br />

Beziehung zum Onkel<br />

Nach einer Pause, in der wir schweigend nebeneinander auf dem Bett sitzen,<br />

fängt sie plötzlich von sich aus an, davon zu erzählen, dass ihr Onkel 1994 im<br />

Alter von 51 Jahren auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause auf der<br />

Straße einen “unwürdigen Tod” gestorben sei. Sein Tod war eine “Verkettung<br />

unglücklicher Umstände.” Anna merkt an, dass er heute noch am Leben sein<br />

könnte, wenn man ihm rechtzeitig geholfen hätte. Letztlich starb er an den<br />

Folgen einer Gehirnblutung, die er sich aufgrund eines Sturzes zugezogen hatte.<br />

Warum er jedoch stürzte, so Anna, sei bis heute unklar.<br />

Ihr Onkel arbeitete bei der Lufthansa in der Sicherheitsüberwachung: “Er war<br />

ein weltoffener, unabhängiger, herzensguter Mensch, einer, dem man einfach<br />

nichts nachsagen konnte. Wenn der irgendwo dazukam war das nie unangenehm,<br />

weil er so lustig war und mit den witzigen Geschichten aus seinem Leben immer<br />

alle zum Lachen brachte.” Weiterhin fügt sie an, dass er trotzdem nie verheiratet<br />

war und keine eigenen Kinder hatte: “Er hatte Lebensabschnittsgefährtinnen”,<br />

und dass er ihre Familie oft besucht hat: “Wir waren seine Ersatzfamilie.”<br />

Sinnfrage<br />

Nachdem sich Anna wieder etwas gefangen hat, stelle ich den Rekorder erneut<br />

an, und wir führen unser Gespräch über das Thema Tod auf einer allgemeinen,<br />

abstrakten Ebene fort: “Es ist komisch, so kompakt über sein Leben zu erzählen.<br />

Normalerweise schreiben die Leute ihre Biographien erst kurz vor ihrem Tod,<br />

dann, wenn sie meinen, dass ihr Leben komplett ist und nichts mehr dazukommt.”<br />

Anna vertritt die Ansicht, dass Menschen insbesondere dann über ihr<br />

Leben nachdenken würden, wenn sie wüssten, dass sie bald sterben müssen.<br />

Grundsätzlich versteht sie den Tod als eine für alle Menschen letztlich unfassbare,<br />

nicht-begreifbare Begebenheit: “Natürlich sagt man sich, dass neue Leute<br />

kommen und andere dafür sterben müssen usw. Und man sagt sich, das Leben<br />

geht weiter, wenn ein dir nahestehender Mensch stirbt, und versuche damit fertig<br />

zu werden, und dich gegen das Vergessen zu wehren. Was den eigenen Tod<br />

anbetrifft, sage ich mir immer, dass man darüber nicht nachdenken braucht, ob<br />

man Angst vor dem Tod hat oder nicht. Wenn er plötzlich eintritt, passiert alles<br />

ganz schnell und wenn man krank wird, kann man dann immer noch über ihn<br />

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