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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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nachdenken.” Daraufhin frage ich Anna, ob sie schon einmal in einer Situation<br />

war, in der sie an ihren Tod gedacht hat, woraufhin sie antwortet, dass sie während<br />

der Computertomographie nach ihrem ersten Anfall an das Sterben gedacht<br />

hätte: “Da habe ich mich gefragt: Wer kommt zu deiner Beerdigung? Im Ernst,<br />

da siehst du nur noch schwarz- weiß und du denkst, jetzt entscheidet es sich für<br />

dich: Leben oder Tod. Das war auch ein Moment, in dem ich mit Gott gesprochen<br />

habe, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte und ihn darum gebeten habe,<br />

dass die Ärzte keinen Gehirntumor diagnostizieren. (sie stockt) Ja, und dann kam<br />

irgendwann die Diagnose, dass ich keinen Tumor habe... was soviel heißt, dass<br />

es sich bei meinen Anfällen höchstwahrscheinlich um eine genuine und nicht um<br />

eine symptomatische Form der Epilepsie handelt.”<br />

Krankheit<br />

Anna erzählt, dass Ärzte, wenn sie von Epilepsie sprechen, immer von einem<br />

Leiden und nicht von einer Krankheit reden: “Sie tun das, um auszudrücken,<br />

dass du eine Krankheit irgendwann los bist, ein Leiden aber nicht. Ich selbst<br />

sage dazu nicht Leiden sondern Krankheit, weil auch ein Leiden begrenzt ist.”<br />

Im folgenden frage ich Anna nach den näheren Umständen ihres ersten<br />

Anfalls. Ihren ersten Anfall hatte sie vor 30 Leuten während des Religionsunterrichtes<br />

in der elften Klasse. Anna erinnert ihren ersten Anfall wie einen<br />

Traum: “Du wachst mitten am Tag auf und guckst in Gesichter in denen Entsetzen<br />

geschrieben steht. Irgendwann merkst du, dass du der Grund dafür bist.<br />

Dann fragst du was los ist, und die anderen sagen dir was du gemacht hast, weil<br />

du es selber nicht weißt. Schließlich erzählen sie dir dann etwas, wovon du<br />

denkst, dass das mit dir überhaupt nichts zu tun hat. Obwohl du weiterhin fest<br />

davon überzeugt bist, dass du nichts dafür kannst, musst du bald akzeptieren,<br />

dass es trotzdem etwas sehr Persönliches ist, was dir widerfahren ist, etwas, was<br />

mit dir zu tun hat, denn schließlich wirst du von den Rettungssanitätern abtransportiert.”<br />

Als das Interessanteste an ihrer Krankheit empfindet Anna die Tatsache,<br />

dass “man soweit aus sich herausgeht.” Anna erzählt im folgenden, dass<br />

die Leute früher geglaubt hätten, dass in Epileptikern ein Dämon ist: “Was<br />

stimmt ist, dass in einem Kräfte aktiviert werden, die man selbst nicht bewusst<br />

hervorruft. Während eines Krampfes hast du die größte Muskelkraft überhaupt.<br />

Alle Muskeln sind maximal angespannt, weswegen du nachher auch überall<br />

Muskelkater hast. Natürlich kann man in solchen Momenten zu dir sagen, dass<br />

nichts mehr von dir übrig ist, sondern statt dessen ein völlig anderer in dir ist,<br />

der um sich schlägt und ausrastet.”<br />

Schließlich frage ich sie danach, was sich seit ihrer Krankheit alles verändert<br />

hat: “Seitdem bin ich nicht Hopfen und nicht Malz.” Damit bringt sie zum Ausdruck,<br />

dass sie sich weder als Epileptikerin, noch als ein gesunder Mensch<br />

wahrnimmt: “eher wie ein Mischling”. Anna verdeutlicht das an einem Beispiel.<br />

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