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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Menschen, der seine Umwelt zeitlebens versuchte aufzuheitern, der aber gleichsam<br />

allein und vielleicht auch einsam war, erinnern mich an das Clown-Motiv,<br />

welches ich von Anna kenne, die ja auch insbesondere lustige Rollen mag: “Ich<br />

bin ein Clown und sammle Augenblicke,” ist ein Spruch, der an ihrer Wand<br />

hängt. Möglicherweise hat “der unwürdige Tod” ihres Onkels auf der Straße<br />

Assoziationen mit ihren Anfällen hervorgerufen, die ja gleichfalls vollkommen<br />

öffentlich waren. Wenn diese Theorie stimmen sollte, könnte man daraus<br />

schließen, dass Anna offensichtlich noch an ihrer Selbst-Wahl als Epileptikerin<br />

arbeitet.<br />

Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zu meinem Gesamteindruck von<br />

Anna sagen. Annas Auseinandersetzung mit ihrer Krankheit lässt sich als ein<br />

akzeptierender, auf innere Veränderung zielender Reaktionsstil charakterisieren<br />

(Thomae, 1996).<br />

Ihre dominante Reaktionsform ist das Akzeptieren der eigenen Situation: “Das<br />

Leben ist genau wie die Krankheit, weil es auch ein Geschenk ist. Du kannst<br />

nichts dafür, du bekommst es, und du nimmst es an.” Als weitere Reaktionsformen<br />

lassen sich das Nachdenken über sich selbst (das ganze Gespräch ist im<br />

Grunde eher ein Gespräch darüber, wie Anna momentan ist, als dass es ihr vergangenes<br />

Leben reflektiert), sowie die Identifikation mit Zielen und Schicksalen<br />

anderer ausmachen (z. B. Bruder, Onkel etc.).<br />

Anna erlebt ihre Situation als wenig veränderbar. Oftmals sagt sie in unserem<br />

Gespräch, Sätze wie: “Man muss das beste daraus machen.” Auch erzählt sie<br />

wenig von konkreten Zukunftsplänen und zeigt eher eine neutrale Einstellung zur<br />

Zukunft. Ihr scheint es eher darum zu gehen, noch verbliebene Chancen und<br />

Möglichkeiten aufzugreifen als um ihre Existenz zu ringen.<br />

Die Einsichten, welche Anna durch das Nachdenken über sich selbst über das<br />

Selbst gewonnen hat, empfinde ich als äußerst beachtlich. Ihre Fähigkeit, sich<br />

selbst zum Objekt ihrer Erkenntnis zu machen, zeichnet sie in meinen Augen<br />

besonders aus. Ich halte sie aber nicht nur für ausgesprochen sensibel für sich<br />

selbst, sondern insbesondere auch für ihre Umwelt. Wenn man bedenkt, dass<br />

Anna bisher noch keine Therapie gemacht hat und bisher versucht hat, ihre<br />

Krankheit alleine zu bewältigen, empfinde ich das, was sie für sich erreicht hat,<br />

als große Leistung. Ich denke, dass sie aufgrund ihrer Bewusstheit auch weiterhin<br />

ihren Weg gehen wird, egal ob als Schauspielerin oder als Pädagogin.<br />

5.6 Kommentar zum Beispiel<br />

Diese Biographik ist der unveränderte Text einer Hausarbeit, die zur “Übung<br />

Biographische Methodik” für Studierende im zweiten Fachsemester der Psychologie<br />

entstanden ist. Eine weitere Biographie befindet sich im Anhang dieses<br />

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