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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Es herrschte eine offene und freundliche, von gegenseitiger Sympathie getragene<br />

Atmosphäre. Als Rückfragen kamen wie "Kennst du das nicht?" oder<br />

"Das kennst du wohl auch!" gab ich mir Mühe, mich in der Folgezeit neutralmotivierend<br />

zu verhalten, was mir während ihrer langen Erzählungen über die<br />

Zeit der Erkrankung ihres Mannes schwer gefallen ist. Ich glaube jedoch, dass<br />

D. Die Erzählung durch meine Sympathie leicht fiel. Der Einfluss der beiden<br />

Therapien, die D. gemacht hat, war häufig an der Art ihrer Darstellungen zu<br />

erkennen.<br />

Die Wirkung der Anwesenheit ihres Mannes ist schwer einzuschätzen. Zunächst<br />

hatte ich Bedenken, das Gespräch überhaupt weiterzuführen, da ich bei<br />

D. eine leichte Veränderung bemerkte (sie stockte in ihrer sonst flüssigen<br />

Erzählung, rutschte auf dem Sofa herum). Nachdem wir das Thema ("Männer")<br />

gewechselt haben, kehrte sie zu ihrer bis dahin bekannten Art der Darstellung<br />

zurück.<br />

<strong>Interpretation</strong>sversuch<br />

In D's Erzählungen taucht recht häufig das Gefühl Einsamkeit auf. Ihre erste<br />

Erinnerung, ihre Erfahrung mit den Eltern in ihrer Kindheit (keine Unterstützung,<br />

wenn sie von anderen Personen angegriffen wird), ihre Erfahrung auf<br />

Flugreisen. Und auch, als ihr Ehemann lebensbedrohlich erkrankt, wird sie<br />

von ihren Eltern alleingelassen. Sie vermisst ihre Freunde, die sie in dieser<br />

schweren Krise unterstützen könnten. Allerdings schafft sie es nach einigen<br />

Wochen, ihre Gefühle zu äußern und ihre Bedürfnisse "durchzusetzen" und<br />

somit teilweise der ihr auferlegten Einsamkeit zu entkommen. Ihr zweiter<br />

Ehemann ist häufig unterwegs.<br />

Regeln, Gehorsam, Pflichten sind weitere wichtige und auffällige Kategorien,<br />

in denen D. denkt, fühlt und lebt. Dies sind Werte, die sie in Kindheit<br />

und Jugend erfahren hat. Sie muss am Kirchgang teilnehmen, den Erzieherinnen<br />

folgen, ihre Arbeiten am und im Haus erledigen, den Führerschein machen,<br />

eine Ausbildung, die ihr nicht gefällt, absolvieren. Sie muss zu Hause<br />

ausziehen, wenn sie eigene Wege gehen will. Sie schläft mit ihrem ersten<br />

richtigen Freund (weil das so sein muss), sie nimmt die Schlafstörungen während<br />

ihrer Arbeit als Flugbegleiterin als normal hin. Sie "gehorcht" ihrem<br />

Mann, wenn er sie um Stillschweigen bittet. Sie "darf" während seiner Erkrankung<br />

nicht ausfallen. Nach der Geburt ihrer Tochter, als sie den scheinbaren<br />

Anforderungen, dem "Zeitschriften-Mutterideal", nicht gerecht wird, treten<br />

bei D. massive Konflikte auf, die sie versucht, mit Hilfe therapeutischer<br />

Unterstützung zu bewältigen.<br />

D's Selbstwertgefühl ist nicht stark ausgeprägt. Sie erfährt, dass es richtig<br />

ist (d. h. ihre eigene Schuld), wenn sie bestraft wird oder sie ganz einfach zu<br />

dumm ist, wenn sie Anforderungen nicht gerecht wird. Daraus kann sich bei<br />

ihr das Bedürfnis entwickelt haben, es den Anderen (ihren Eltern und sich<br />

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