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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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psychologische Übersetzung sollte den Kontext der Biographie, der Lebenssituation,<br />

aber ggf. auch die Bedingungen und den Zweck der Texterhebung einbeziehen.<br />

Idiographik<br />

Das Prinzip der Idiographik geht auf den Philosophen Windelband (1894) zurück.<br />

Er entwickelte die Auffassung, dass Naturwissenschaften nomothetisch (griech.<br />

Gesetze aufstellend) vorgehen und den beobachteten Einzelfall als Sonderfall allgemeiner<br />

Gesetze erklären. Dagegen seien die Geisteswissenschaften idiographisch<br />

(griech. das Einzelne und Eigenartige beschreibend) und auf das Verstehen<br />

des Sinnzusammenhanges ausgerichtet. Dilthey (1894) hatte diese Sichtweise<br />

zugespitzt: “Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir. Denn in der<br />

inneren Erfahrung sind auch die Vorgänge des Erwirkens, die Verbindungen der<br />

Funktionen der einzelnen Glieder des Seelenlebens zu einem Ganzen gegeben.” (S.<br />

1314). Der Gegensatz Nomothetik – Idiographik ist auch wissenschaftshistorisch<br />

zum Verständnis verschiedener Richtungen der Psychologie aufschlussreich.<br />

Konventionalität und Individualität<br />

Das Prinzip der Konventionalität erinnert daran, dass Texte sehr häufig eine<br />

gewohnte und durchschnittliche Darstellung oder zumindest konventionelle<br />

Komponenten enthalten. Die individuellen Merkmale eines Textes zu erkennen,<br />

setzt Erfahrung mit anderen Texten voraus. Sie erlaubt, häufig vorkommende<br />

oder für bestimmte Personengruppen typische Texte zu erkennen und zum Vergleich<br />

nutzen zu können.<br />

Aus psychologischer Perspektive können auch Erwartungen über den typischen<br />

Ablauf von Erlebnissen und Verhaltensweisen eingebracht werden. Das<br />

Besondere hebt sich von diesem Hintergrund ab. Unter bestimmten situativen<br />

Bedingungen werden Menschen, auf angeborene oder gleichartig gelernte Weise,<br />

zu einander ähnlichen Situationsbewertungen und Reaktionen angeregt. Dieser<br />

“Aufforderungscharakter” liegt nicht allein in den objektiven Reizbedingungen,<br />

sondern ergibt sich in der Wechselwirkung mit generellen Verhaltensdispositionen.<br />

Der konventionelle Text entspricht diesem Aufforderungscharakter und<br />

geht auf die typischen situativen Anforderungen mit typischen Reaktionen ein.<br />

Das Prinzip der Individualität behauptet, dass im Text neben den leichter übersetzbaren<br />

konventionellen Abschnitten auch individuelle, individualcharakteristische,<br />

originelle Komponenten oder auch psychopathologische Störungssymptome<br />

enthalten sein können. Deshalb wird u. U. ein nicht interpretierbarer<br />

oder zumindest in der Bedeutung zweifelhafter Rest verbleiben.<br />

<strong>Interpretation</strong>stiefe<br />

Wenn ein Text grundsätzlich mehrdeutig ist, wird es unterschiedliche <strong>Interpretation</strong>en<br />

geben – es sei denn, dass die hauptsächlichen Bedeutungen in einer<br />

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