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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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zum Erreichen des anderen Ufers. Weder die Landschaft noch das andere Ufer (das<br />

nicht direkt, sondern nur durch die Funktion der Brücke gegenwärtig ist) sind dem<br />

Träumer bekannt. Er scheint unterwegs zu sein, ohne das Ziel seiner Reise zu kennen.<br />

Der Traum enthält keine weitere Zukunftsperspektive.<br />

Eine lebensbedrohliche Krise tritt ein. Sie wird in diesem Abschnitt, der einer<br />

Entwicklungsaufgabe gleicht, ohne Zögern oder überwältigende Emotionen zielstrebig<br />

überwunden. Könnte dies eine treffende bildliche Darstellung der persönlichen<br />

Entwicklung sein?<br />

Das zentrale Thema des Traums wäre demnach die persönliche Entwicklung,<br />

welche hier eine Krisenbewältigung und Verhaltensänderung verlangt. Falls dieser<br />

<strong>Interpretation</strong>sansatz, zumindest als vorläufige Konstruktion, nicht völlig abgewiesen<br />

wird, kann das Thema erweitert werden, um noch mehr Überzeugungskraft<br />

zu gewinnen. Dieser Ansatz kann im folgenden noch scheitern, falls<br />

sich eine überzeugendere Alternative abzeichnet.<br />

Vom zentralen Thema her sind nun andere, bisher noch zu kurz behandelte<br />

Teile zu betrachten. Häufig sind der Anfang und der Schluss einer Geschichte<br />

besonders aufschlussreich. Der Schlussakzent des Auftauchens aus der Krise,<br />

aber ohne Aussage über das gedachte andere Ufer, wurde bereits als Hinweis auf<br />

die Ungewissheit des Reiseziels hervorgehoben.<br />

Mit der initialen Feststellung “Ich sitze allein in einem Eisenbahnabteil” identifiziert<br />

sich der Träumer hier als Subjekt der Erlebnisschilderung. Er bleibt<br />

weiterhin allein, denn weder beim Unglück noch bei der Rettung tauchen andere<br />

Personen, wie zu erwarten wäre, auf. Dennoch scheint es zu spekulativ zu sein,<br />

diesen Lebensabschnitt allgemein durch soziale Distanz oder gar Isolierung charakterisieren<br />

zu wollen. Es wäre nicht minder stimmig, dass gerade die<br />

Eigenständigkeit (Emanzipation?) in dieser Lebensphase notwendig und schließlich<br />

befreiend ist. Von diesem Zustand des Alleinseins kann noch nicht auf eine<br />

überdauernde Eigenschaft verallgemeinert werden. Solche Zuschreibungen<br />

(Attributionen) würden mehr Anhaltspunkte erfordern. Die <strong>Interpretation</strong> wäre<br />

eher zu rechtfertigen, wenn sie sich in einer Serie thematisch ähnlicher Träume<br />

wiederholen würden. Deswegen sollte das Nebenthema des Alleinseins, trotz seiner<br />

initialen Akzentuierung, nicht überspannt werden.<br />

Der Traum enthält keine manifesten emotionalen oder sozialen Konflikte. Das<br />

Unglück ist durch höhere Gewalt eingetreten und war nicht beeinflussbar. Die<br />

Befindlichkeit scheint neutral zu sein, weder deutlich positiv noch deutlich negativ.<br />

Diese Emotionslosigkeit der Erlebnisschilderung ist auffällig. Die Beschreibungen<br />

sind durchweg nüchtern und selbst in Todesgefahr wird das Wissen über<br />

den Ausweg betont, statt Angst zu äußern, wo dies zu erwarten wäre. Es wird<br />

auch keine Befriedigung über den erfolgreichen Ausstieg und die Rettung ausgedrückt.<br />

Spricht dies für die nüchterne Selbstbeherrschung oder eher für eine<br />

Überkontrolle und Unterdrückung von Emotionen? Schon die Bahnfahrt geschah<br />

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