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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Verständigungen und Konventionen voraus. Andererseits muss eine Willkür in<br />

der <strong>Interpretation</strong> verhindert werden.<br />

In dieser Hinsicht sind die zentralen Probleme der Hermeneutik als Grundlage<br />

einer allgemeinen <strong>Interpretation</strong>slehre weiterhin ungelöst. Allerdings ist zweifelhaft,<br />

ob diese Tradition auch die praktische Entwicklung einer Methodik im<br />

Sinne einer allgemeinen <strong>Interpretation</strong>slehre einschließt. So behauptete Titzmann<br />

(1977) aus der Sicht eines Philologen, dass die Hermeneutik seit Dilthey<br />

über Gadamer bis zu Habermas nicht als eine methodische Grundlegung der<br />

Textanalyse aufzufassen sei. Tatsächlich sind Lehrbücher mit der Absicht einer<br />

allgemeinen <strong>Interpretation</strong>slehre kaum vorzuweisen, wenn von speziellen<br />

Darstellungen für bestimmte Fächer abgesehen wird (z. B. Bätschmann, 2001;<br />

Oeming, 1998; Rittelmeyer & Parmentier, 2001).<br />

Zur Anwendung der Hermeneutik als Auslegungskunst (Applicatio, in der<br />

Theologie: Exegese) existieren in der älteren Literatur zahlreiche Regelwerke<br />

(Kanones). Die Übersicht von Betti (1967) über hermeneutische Erkenntnislehre<br />

und mögliche Typen von Auslegungen oder neuere Bücher zur qualitativen<br />

Psychologie oder Sozialforschung erfüllen jedoch die notwendigen<br />

Anforderungen an eine moderne Einführung in die allgemeine <strong>Interpretation</strong>slehre<br />

und Praxis noch nicht. Hervorzuheben ist jedoch der von Danner (1998)<br />

zusammengestellte Katalog von hermeneutischen Regeln (siehe Kapitel 3).<br />

Das Problem des Verstehens<br />

Alle der bisher genannten Autoren haben sich eingehend mit dem Begriff des<br />

Verstehens und seinen elementaren und höheren Formen auseinandergesetzt. Das<br />

Bedeutungsspektrum ist sehr breit (Danner, 1998; Diemer, 1977; Gadamer, 1990;<br />

Groeben, 1986; Schmidt, 1995; Scholz, 2001). Möglichkeiten und Nuancen des<br />

Verstehens sind :<br />

• das grammatische Verstehen (Verstehen von Regeln);<br />

• die verstehende Erfahrung und das praktisches Verstehen (Gebrauchs-<br />

Verstehen);<br />

• das Verstehen der wörtlichen, grammatischen Aussage (sensus litteralis) und<br />

des Sinns (sensus spiritualis);<br />

• das unmittelbare psychologische Verstehen als Einfühlen und Nachfühlen,<br />

intuitives und empathisches Sich-Hineinversetzen;<br />

• das mittelbare psychologische Verstehen als reflektiertes Nachvollziehen,<br />

durch theoretische Konzepte oder Erfahrungen geleitet;<br />

• das erklärende Verstehen;<br />

• das Verstehen als leitendes Vorverständnis (antizipierendes Verstehen);<br />

• das Verstehen als Sich-Einarbeiten;<br />

• das Verstehen als Aneignung und Assimilation;<br />

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