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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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men darin überein, dass die Mehrzahl der frühesten Erinnerungen aus dem Alter<br />

zwischen drei und vier Jahren stammt. Die Erinnerungen sind in der Regel bildhaft,<br />

andere Sinnesmodalitäten sind selten (siehe Westman, Westman &<br />

Orellana, 1996). Die frühen Erinnerungen haben oft nur ein Thema, selten werden<br />

längere Episoden mit mehreren Szenen berichtet. An die spontanen Einfälle<br />

können sich, wenn eine psychologische <strong>Interpretation</strong> aufgebaut werden soll,<br />

vertiefende Fragen anschließen, z. B. nach der emotionalen Färbung oder nach<br />

Wiederholungen des Themas.<br />

In der Aufgabe ist eine ausdrückliche Distanzierung von Erinnerungen, die<br />

sich auf Kinderfotos stützen, enthalten. Durch das häufige Betrachten (viele<br />

Kinder interessieren sich später sehr für solche Fotoalben) sind diese Bilder mit<br />

vielen sekundären Erinnerungen, Erzählungen von Eltern und Geschwistern verbunden<br />

und akzentuiert. Die Erinnerungen können verändert und bearbeitet sein.<br />

Trotzdem kann natürlich überlegt werden, weshalb gerade dieses Foto bzw.<br />

dieses Thema in der Erinnerung aufsteigt. Die Suche nach der ersten Erinnerung<br />

ohne externe Hilfe durch ein Foto ist aber psychologisch interessanter, der Inhalt<br />

authentischer.<br />

Viele andere Einflüsse sind denkbar, welche Pseudoerinnerungen bedingen<br />

können, u. a. auch familiäre Gespräche über die Lebensverhältnisse jener Zeit<br />

oder konventionelle psychologische Konzepte hinsichtlich der kindlichen<br />

Entwicklung. Außerdem werden sich die Massenmedien mit ihren Themen und<br />

bestimmten psychologischen Schemata auswirken. Auch die Lektüre von<br />

Sachbüchern oder von Aufsätzen zu psychologischen Fragen kann einen Einfluss<br />

haben (z. B. die auf eine Umfrage gestützte Reportage des Wissenschaftsjournalisten<br />

Zimmer: “Die erste Erinnerung. Wann beginnt für den Menschen die<br />

Vergangenheit?”, 1988).<br />

Theoretischer Kommentar<br />

Das prozedurale Gedächtnis entwickelt sich mit dem sensomotorischen Lernen<br />

und das semantische Gedächtnis beginnt mit der Sprachentwicklung. Dagegen<br />

scheint sich das episodische Gedächtnis erst Jahre später so zu entwickeln, dass<br />

frühe Erinnerungen sprachlich verfügbar sind. Das Suchen nach der frühesten<br />

Erinnerung ist ebenfalls ein selektiver und inferentieller Prozess. Damit stellt<br />

sich die allgemeinere Frage nach der Zuverlässigkeit und nach möglichen<br />

Verzerrungen im autobiographischen Gedächtnis.<br />

Freud hatte den Eindruck, dass viele seiner Patienten in ihren frühesten<br />

Erinnerungen nur alltägliche und relativ affektarme Szenen schilderten. Dies<br />

führte ihn zu der Behauptung, dass der manifeste Inhalt unwesentlich ist, weil er<br />

den eigentlichen Inhalt durch ein örtlich und zeitlich benachbartes Ereignis ersetzt<br />

hat. Diese Erinnerungen sind nur deshalb so nachhaltig, weil sie in verschlüsselter<br />

Form verpönte Wünsche und sexuelle oder destruktive Phantasien verber-<br />

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