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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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• Alles tradierte Wissen, alle Vorurteile, Hypothesen und Lehrmeinungen müssen<br />

ausgeschaltet werden, damit das Gegebene allein wirken kann.<br />

• Alles Zufällige, Unwichtige wird ausgeklammert und das Wesen geistig<br />

geschaut und beschrieben.<br />

• Vom unmittelbar und intuitiv Erfahrenen ausgehend wird das betreffende<br />

Phänomen in seinen möglichen Formen variiert, um den invarianten Kern,<br />

eben das Wesen, zu erfassen.<br />

Diese Hauptregeln der Reduktion bezwecken ein Öffnen bzw. Offenhalten unseres<br />

Denkens für das direkte geistige Erfassen bestimmter Sachverhalte – mit<br />

anderen Worten: die Förderung und Übung des intuitiven und doch systematischen<br />

Denkens, ohne in Subjektivismen oder individuell-psychologische Auffassungen<br />

zu geraten: “Zu den Sachen selbst”. Die gerade von psychologischer<br />

Seite möglichen und naheliegenden Einwände gegen die wohl unvermeidlichen<br />

Voreingenommenheiten und Grenzen solcher Wesensschau hat Husserl wiederholt<br />

zurückgewiesen. Husserls Verdikt hat die Kontroverse über die fragwürdigen<br />

Ansprüche beider Seiten und über die Denkstile dieser Disziplinen jedoch<br />

nicht beendet (siehe Jahnke et al., 1999; Schmidt, 1995).<br />

Graumann und Metraux (1977) betonten die vielfältigen Missverständnisse in<br />

dieser Hinsicht und sprachen vorsichtig nur von einer phänomenologischen<br />

Orientierung in der Psychologie (siehe auch Herzog & Graumann, 1991; Schmitz,<br />

1991, 1994). Es handelt sich nicht um ein spezielles Untersuchungsgebiet, sondern<br />

um eine besondere Denkweise und einen besonderen Forschungsstil:<br />

• heuristisch, d. h. beziehungsstiftend und anregend, weil Alternativen zu anderen<br />

Forschungsweisen vorgeschlagen werden;<br />

• deskriptiv wichtig, weil wesentliche Kategorien und Beschreibungsweisen<br />

verwendet werden, die vor einer einseitigen, reduktionistischen Psychologie<br />

bewahren können.<br />

Graumann und Metraux (1977) rechtfertigten diese phänomenologische Orientierung,<br />

indem sie die Unabweisbarkeit bestimmter Fragestellungen in der<br />

Psychologie betonten: im Hinblick auf das Subjekt, die Intentionalität (selektive<br />

Abhängigkeit unserer Wahrnehmung und Erfahrung von subjektivem Sinnverständnis<br />

und Sinnstreben, den Interessen und Absichten) und die Wechselbeziehungen<br />

zwischen Subjekt und Umwelt in konkreter Lebenssituation.<br />

Als phänomenologisch orientierte Anthropologen und Psychologen sind vor<br />

allem Scheler, Lersch, Linschoten und Merlau-Ponty zu nennen. Das Lehrbuch<br />

von Lersch (1938) “Aufbau der Person”, erreichte eine der höchsten Auflagenzahlen<br />

in der deutschen Psychologie. Für diese Autoren war eine neue psychologische<br />

Anthropologie und Wesensbestimmung des Menschen vorrangig. Die<br />

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