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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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hohes Anspruchsniveau, wenn Unvoreingenommenheit, Voraussetzungslosigkeit<br />

und Vollständigkeit gefordert werden. Dieser Anspruch regt kritische Fragen an.<br />

Zur theoretischen Orientierung wurden drei Konzeptionen der Biographik und<br />

Prozessforschung hervorgehoben: Thomaes Individuum und seine Welt, Heiß<br />

Person als Prozess und Luborskys Symptom-Kontext-Analyse. In den heutigen<br />

Lehrbüchern der Persönlichkeitspsychologie tauchen diese grundlegenden Arbeitsprogramme<br />

kaum mehr auf. Ihre gemeinsame Idee ist die Prozessforschung.<br />

Auch heute noch scheinen diese Arbeitsprogramme aus jeweils anderen Gründen<br />

die methodischen und praktischen Möglichkeiten der Empirie zu überfordern.<br />

Doch als Zielvorstellungen sind sie weiterhin wichtig. Die Prozessforschung<br />

kann als fünfter Zugang zur Differentiellen Psychologie angesehen werden<br />

neben den von Stern genannten Zugängen der Variations-, Korrelations- und<br />

Komparationsforschung sowie Psychographie.<br />

Die Verbindung des idiographischen und des nomothetischen Ansatzes war das<br />

Leitmotiv für Thomaes Arbeitsprogramm. Diese Absicht ist auch in der diagnostischen<br />

Methodik von Heiß zu erkennen, trotz seiner Vorbehalte gegen Messung<br />

im Gegensatz zur Deutung. Diese Überzeugung des Sowohl – Als – Auch in der<br />

Kombination von Methoden bestimmte auch das vorliegende Buch. Ein komplementäres<br />

Verfahren wird bei vielen Aufgaben der Grundlagenforschung oder des<br />

praktischen Assessment ergiebiger sein als einseitige Perspektiven.<br />

<strong>Psychologische</strong> Biographik und Prozessanalyse spielen in den neueren<br />

Lehrbüchern eine verhältnismäßig geringe Rolle. Zwar wird in der differentiellen<br />

Psychologie die intra-individuelle Variabilität formal beschrieben oder in der<br />

Therapieforschung werden Veränderungen evaluiert. Prozessdiagnostik wird<br />

eher als eine Möglichkeit dargestellt, statt in methodisch ausgearbeiteter Weise<br />

praktiziert zu werden. Tatsächlich sind in der psychologischen Forschung und<br />

Praxis dichte Zeitraster von Daten, die sich für Prozessdiagnostik eignen, nur<br />

sehr selten zu finden. Zwischen der überzeugenden Zielsetzung der Prozessdiagnostik<br />

und den methodischen Möglichkeiten einer genaueren Prozessanalyse<br />

in der differentiellen Psychologie klafft weiterhin ein sehr großer Abstand. Die<br />

grundlegenden Fragen sind ja nicht dauerhaft gelöst, sondern werden heute vielleicht<br />

in anderer Form gestellt oder sie werden ausgeklammert.<br />

Die psychologische Biographik ist aus Thomaes Sicht die wichtigste Basis der<br />

Persönlichkeitspsychologie, so wie Heiß die testmethodische Prozessdiagnostik<br />

als fundamentalen Zugang zur Individualität sah. Beiden kam es auf ein umfassendes<br />

Bild der Persönlichkeit bzw. ein umfassendes Persönlichkeitsgutachten<br />

an.<br />

Nun wird für viele praktische Fragestellungen der angewandten Psychologie<br />

keine umfassende Biographik oder Begutachtung möglich sein. In verkürzter<br />

Weise können ein biographisches Interview, eine Anamnese oder ein diagnostisches<br />

Gespräch höchstens die wichtigsten biographischen und anamnestischen<br />

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