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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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den Nasenmuscheln nachgebildet sind, ausgedehnte Schorfe. – Ich rufe schnell<br />

Dr. M. hinzu, der die Untersuchung wiederholt und bestätigt ... Dr. M. sieht ganz<br />

anders aus als sonst; er ist sehr bleich, hinkt, ist am Kinn bartlos ... Mein Freund<br />

Otto steht jetzt auch neben ihr, und Freund Leopold perkutiert sie über dem<br />

Leibchen und sagt: Sie hat eine Dämpfung links unten, weist auch auf eine infiltrierte<br />

Hautpartie an der linken Schulter hin (was ich trotz des Kleides wie er<br />

spüre) ... M. sagt: Kein Zweifel, es ist eine Infektion, aber es macht nichts; es<br />

wird noch Dysenterie hinzukommen und das Gift sich ausscheiden ... Wir wissen<br />

auch unmittelbar, woher die Infektion rührt. Freund Otto hat ihr unlängst, als sie<br />

sich unwohl fühlte, eine Injektion gegeben mit einem Propylpräparat, Propylen<br />

... Propionsäure ...Trimethylamin (dessen Formel ich fettgedruckt vor mir sehe)<br />

... Man macht solche Injektionen nicht so leichtfertig ... Wahrscheinlich war auch<br />

die Spritze nicht rein.” (1900, S. 111 f.).<br />

Freud hat dieses Traummuster ausführlich kommentiert. Er erläuterte u. a. die<br />

Tagesreste und die Rolle der Kollegen sowie die Krankengeschichte und den<br />

Stand der Therapie bei dieser Patientin, die der Familie auch freundschaftlich<br />

verbunden war. Er erwähnte eine peinliche Empfindung wegen der angedeuteten<br />

Kritik seines Kollegen. So könnte sein Traum der Wunscherfüllung dienen, dass<br />

nicht er an dem noch vorhandenen Leiden Irmas schuld sei. Der Verlauf der<br />

Untersuchung Irmas scheint neben den ärztlichen auch erotische Aspekte zu<br />

haben. Eine Assoziationskette Freuds führt über drei andere weibliche Personen<br />

zu seiner Frau Martha. Er beschrieb weitere Verbindungen, Einfälle und auch<br />

andere Deutehypothesen, vermied aber andere Aspekte in diskreter Weise.<br />

Wo ist eine Traumzensur zu erkennen? Bezieht sich der latente Trauminhalt in<br />

erotisch getönter Weise auch auf die eigene Mutter oder geht es primär um andere<br />

Themen? Dies sind einige der naheliegenden Fragen. Freud schrieb später<br />

über dieses Buch: “Es erwies sich als ein Stück meiner Selbstanalyse, als meine<br />

Reaktion auf den Tod meines Vaters, dem einschneidendsten Verlust im Leben<br />

eines Mannes.” (1942 Traumdeutung, Vorwort zur 2. Aufl.).<br />

Freud war hier der Träumer und der Deuter zugleich, und sein Traum von<br />

“Irmas Injektion” gilt als Initialtraum der Psychoanalyse. Es würde jedoch zu<br />

weit führen, auf diesen Traum und die späteren interpretatorischen Auseinandersetzungen<br />

zum Thema Mutter und Vater (der 1896 starb) oder auf die<br />

Hinweise zum Kokaingebrauch näher eingehen zu wollen. Dieser Traum und<br />

weitere ca. 30 Träume in seinen gesammelten Werken haben die Biographen<br />

Freuds und die an Freuds Traumpsychologie Interessierten beschäftigt (Blum,<br />

1996; Politzer, 1974; vom Scheidt, 1974, 1983; Marinelli & Mayer, 2000;<br />

Zimmermann, 1991). An seinen Freund Fließ schrieb Freud (12. Juni 1900):<br />

“Glaubst Du eigentlich, dass an dem Hause dereinst auf einer Marmortafel zu<br />

lesen sein wird:<br />

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