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Psychologische Interpretation. - Jochen Fahrenberg

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Das Begriffspaar manifest – latent<br />

Berelson (1952, S. 20) hatte von einem Kontinuum gesprochen: an einem Ende<br />

steht z. B. die Zeitungsmeldung von einem Eisenbahnunglück, wobei jeder Leser<br />

dieses Ereignis verstehen wird, und am anderen Ende ein modernes Gedicht, von<br />

dem wahrscheinlich keine zwei Leser “get identical meaning”. Die<br />

Inhaltsanalyse ist für die manifesten Inhalte an jenem Ende anwendbar, wo das<br />

Verstehen einfach und direkt ist. “Presumably, there is a point on the continuum<br />

beyond which the ‘latency‘ of the content (i. e. the diversity of understanding in<br />

the relevant audience) is too great for reliable analysis” (1952, S. 20).<br />

Berelson hätte auch die Traum-<strong>Interpretation</strong> oder die projektiven Tests zur<br />

Illustration des Bereichs, wo die Divergenz sehr groß wird, heranziehen können.<br />

Das Extrem ist vielleicht in der psychoanalytischen <strong>Interpretation</strong> gegeben. Freud<br />

hat allerdings Strategien entwickelt, wie die im manifesten Traumtext verborgene,<br />

unbewusste Dynamik entschlüsselt werden könnte. Es gibt also Strategien zur Begrenzung<br />

der spekulativen Möglichkeiten. Aber nur ein Teil der Trauminterpreten<br />

entscheidet sich für dieses psychoanalytische Verfahren, während sich andere um<br />

eine psychologische Auslegung des manifesten Traumberichts bemühen.<br />

Die Möglichkeit latenter Bedeutungen wurde auch von Berelson nicht bestritten.<br />

Es geht vielmehr um die Frage der <strong>Interpretation</strong>stiefe. Statt auf dem Nebenaspekt<br />

quantitativ – qualitativ zu beharren, wäre die Frage zu diskutieren: wo sind die<br />

Grenzen, jenseits derer die Divergenz der Verständnisse zu groß wird?<br />

“Latente Sinnstruktur” ist ein unbestimmter und schwieriger Begriff der<br />

Inhaltsanalyse. Wenn diese latenten Bedeutungen nur durch das “Lesen zwischen<br />

den Zeilen” oder vom “Rand” des Kontexts erschlossen werden können, dann<br />

wird dies nicht in einer intersubjektiv konvergenten Weise, sondern wahrscheinlich<br />

in individuell geformten <strong>Interpretation</strong>en geschehen. Über deren Gültigkeit<br />

wird nicht leicht zu entscheiden sein.<br />

Ritsert (1972) räumte die Schwierigkeiten einer näheren Bestimmung ein, was<br />

latente Sinnstrukturen sind. Sie gehören zum Text, stehen aber nur “zwischen<br />

den Zeilen”. Er diskutierte wichtige Aspekte wie Denotation und Konnotation,<br />

Sinngehalt und Bedeutung, ging jedoch auf Freuds Psychoanalyse nicht ein. Aus<br />

seiner Sicht entsprechen sich die Unterscheidungen manifest – latent und denotativ<br />

– konnotativ weitgehend. Er unterschied schließlich drei Aspekte latenter<br />

Sinnstrukturen:<br />

Aspekte der Latenz:<br />

Latenz: gesellschaftliche Konnotationen eines Textes;<br />

Latenz: sich ohne bewusste Absicht des Verfassers im Text ausdrückende,<br />

gesellschaftliche Sinngehalte;<br />

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