Multiple Rationalitäten der kantonalen ... - Universität St.Gallen
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view Case C, pol. AT 2 2009). Die Person, die nach seinem Rücktritt das Amt übernahm,<br />
verfügt insofern über einen technischen Berufshintergrund, als dass sie früher<br />
ein paar Jahre als Bauzeichner arbeitete, danach allerdings die Branche wechselte, ein<br />
eigenes Einzelhandelsfachgeschäft eröffnete und dieses mehr als drei Jahrzehnte lang<br />
betrieb (Interview Case C, pol. AT 1).<br />
Im Hinblick auf die kulturell-kognitive Dimension hat sich für die politische Ebene <strong>der</strong><br />
Fallstudie C herausgestellt, dass die Argumentationen (teilweise) auf einem sehr negativ<br />
besetzten mentalen Modell vom Ausschreibungswettbewerb aufgebaut wird. So<br />
wird das Ausschreibungsverfahren von dem politischen Aufgabenträger als ein Vergabeverfahren<br />
klassifiziert, das zwar zu Effizienzvorteilen für den Besteller führen könne,<br />
das aber mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko für die Fahrgäste verbunden sei. Das<br />
dahinterstehende mentale Modell assoziiert Ausschreibungswettbewerb mit schweren<br />
Unfällen aufgrund zu hoher Belastungen <strong>der</strong> Buschauffeure durch den Wettbewerbsdruck,<br />
schlecht gewarteten Wagenmaterials o<strong>der</strong> nicht instandgehaltener Infrastruktur.<br />
„Ich weiss nicht, ob sie das System im Engadin kennen. Das ist ja dann auch öffentlich ausgeschrieben<br />
worden, die Busse, und ich hab einfach das Gefühl, das ist so eine Vermutung, dass<br />
auch die Unfallhäufigkeit - man müsste dem detailliert nachgehen - aber es hat doch zwei<br />
schwerere Unfälle gegeben und ich weiss nicht, ob die Buschauffeure da unter Druck gekommen<br />
sind, o<strong>der</strong>. O<strong>der</strong> das da in Großbritannien, die Schienen. Wettbewerb durchgeführt und<br />
jetzt gibt es Unfälle, weil die Schienen nicht gepflegt wurden. Nein, da ist mir die Sicherheit<br />
mehr wert. Einerseits Sicherheit von den Passagieren, aber auch Sicherheit von den Buschauffeuren,<br />
das ist mir mehr wert. Lieber ein bisschen mehr zahlen, wenn's auch billiger mit Ausschreibungen<br />
eingekauft werden könnte.“ (Interview Case C, pol. AT 1 2009)<br />
Tatsächlich hat es im Engadin nicht zwei, son<strong>der</strong>n einen schwereren Unfall mit Beteiligung<br />
des neuen Betreibers im Jahr 2008 gegeben. Ein Gutachten und das Gericht<br />
kamen später zu dem Schluss, dass <strong>der</strong> Unfall insbeson<strong>der</strong>e durch persönliches Fehlverhalten<br />
des Chauffeurs verursacht wurde (Urteil Kantonsgericht Graubünden vom<br />
24.5.2011). Es handelt sich dabei um einen tragischen Einzelfall, <strong>der</strong> in keinem direkten<br />
Zusammenhang zur knapp zehn Jahre zuvor durchgeführten Ausschreibung <strong>der</strong><br />
entsprechenden Linie steht. Die in dem Interviewausschnitt angesprochene Situation<br />
im britischen Schienenverkehr basiert auf einer vollständigen Privatisierung des Eisenbahnsektors<br />
samt Infrastruktur in den 1990er Jahren (Shaw 2000) und ist nur bedingt<br />
auf den Kontext des schweizerischen regionalen Busverkehrs übertragbar. Insgesamt<br />
entstand so <strong>der</strong> Eindruck, dass die grundsätzlich ablehnende Haltung gegen das<br />
Ausschreibungsverfahren aufgrund politisch-strategischer Überlegungen mit ʻhartenʼ<br />
Argumenten im Interview ʻnachrationalisiertʼ werden sollte. In diesem Zusammenhang<br />
können auch die Ausführungen des folgenden Unterkapitels 7.4.3 gesehen werden.