Multiple Rationalitäten der kantonalen ... - Universität St.Gallen
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Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Europäischen Union (EU) wurde das Thema „Wettbewerb im ÖV“<br />
seit Mitte <strong>der</strong> 1990er Jahre vor allem von <strong>der</strong> Europäischen Kommission vertreten,<br />
und zwar sowohl im Hinblick auf den Eisenbahnsektor als auch auf den straßengebundenen<br />
öffentlichen Personennahverkehr. So veröffentliche die Kommission unter an<strong>der</strong>em<br />
zwei Weißbücher 5 zum öffentlichen Verkehr, die zusammen mit ihren zahlreichen<br />
Richtlinienvorschlägen wesentliche Grundlagen für die bislang drei Eisenbahnpakete<br />
aus den Jahren 2001, 2004 und 2007 darstellten (Europäische Kommission<br />
1996; 2001). Zusammen mit dem Recast des ersten Eisenbahnpakets, <strong>der</strong> sich <strong>der</strong>zeit<br />
im Entscheidungsprozess befindet, umfassen sie verschiedene Verordnungen und<br />
Richtlinien hinsichtlich einer Deregulierung und Liberalisierung des Schienenpersonen-<br />
und Schienengüterverkehrs. 6 Im dritten Eisenbahnpaket enthalten ist die Verordnung<br />
(EG) 1370/2007, die grundsätzlich eine wettbewerbliche Vergabe von Verkehrsleistungen<br />
im straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr for<strong>der</strong>t.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> teilweise negativen Erfahrungen mit <strong>der</strong> vollständigen Deregulierung<br />
des öffentlichen Nahverkehrs in Großbritannien plädiert die EU-Kommission für einen<br />
kontrollierten Wettbewerb um den Markt mittels Ausschreibungen. Trotz <strong>der</strong> bisherigen<br />
Liberalisierungsschritte im regulativen institutionellen Rahmen besteht für die<br />
Aufgabenträger des ÖV in <strong>der</strong> EU bislang aber nach wie vor keine wirkliche gesetzliche<br />
Pflicht zur Ausschreibung. Zwar sieht die eben angesprochene Verordnung (EG)<br />
1370/2007 prinzipiell obligatorischen Ausschreibungswettbewerb für die Vergabe <strong>der</strong><br />
von ihr umfassten Personenverkehrsdienstleistungen vor. Entgegen dem ursprünglichen<br />
Ansinnen und entgegen dem ursprünglichen Vorschlag <strong>der</strong> Europäischen Kommission<br />
hat das Europäische Parlament allerdings dafür gesorgt, dass die Verordnung<br />
verschiedene Möglichkeiten zur Umgehung <strong>der</strong> Ausschreibungspflicht enthält. Nach<br />
wie vor sind es die in den jeweiligen Gebietskörperschaften für den ÖV zuständigen<br />
Organisationen – im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Aufgabenträger bezeichnet –,<br />
die entscheiden, welches Verfahren zur Vergabe <strong>der</strong> Angebotsvereinbarungen eingesetzt<br />
wird und ob <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Europäischen Kommission angestrebte Ausschreibungswettbewerb<br />
zur Anwendung kommt.<br />
Da die Schweiz kein Mitglied <strong>der</strong> EU ist, ist <strong>der</strong> schweizerische ÖV formell nicht direkt<br />
von <strong>der</strong> Liberalisierung im ÖV auf EU-Ebene betroffen. Faktisch stellt sich die<br />
Situation aber so dar, dass die entsprechende EU-Regulation mit gewissen zeitlichen<br />
5<br />
6<br />
Im Rahmen ihrer Weißbücher unterbreitet die Europäische Kommission Vorschläge für Maßnahmen in einem bestimmten EU-relevanten<br />
Politikbereich, zum Beispiel dem öffentlichen Verkehr.<br />
Das erste Eisenbahnpaket setzt sich aus den Richtlinien 2001/12/EG, 2001/13/EG; 2001/14/EG und 2001/14/EG sowie, bedingt durch<br />
den Recast, aus einer Berichtigung <strong>der</strong> Richtlinie 2001/14/EG zusammen; das zweite aus den Richtlinien 2004/49/EG, 2004/50/EG und<br />
2004/51/EG sowie <strong>der</strong> Verordnung (EG) 881/2004 und das dritte Eisenbahnpaket aus den Richtlinien 2007/58/EG und 2007/59/EG sowie<br />
den Verordnungen (EG) 1370/2007 und (EG) 1371/2007.