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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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10. Kapitel<br />

Es gibt ein Gemälde von Asher Brown Durand, das den Titel »Verwandte<br />

Geister« trägt und häufig als Beispiel herangezogen wird, wenn es um amerikanische<br />

Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts geht. Das Bild stammt<br />

von 1849, und es zeigt zwei Männer, die auf einem Felsvorsprung in den<br />

Catskills vor einer grandiosen Kulisse stehen, die eine jener stilisierten,<br />

untergegangenen Welten zeigt, die man offenbar nur <strong>mit</strong> einer Expedition<br />

erreichen kann, aber dazu sind die beiden Männer gänzlich unpassend gekleidet,<br />

eher wie fürs Büro, <strong>mit</strong> langen Mänteln und dicken Halstüchern.<br />

Unter ihnen, in einer düsteren Schlucht, rauscht zwischen einem Gewirr von<br />

Felsbrocken ein Wildbach dahin. Jenseits, am Horizont, durch einen Baldachin<br />

aus Blättern, fällt der Blick auf eine lange Kette bedrohlich wirkender,<br />

aber herrlicher, blauer Berge. Von links und rechts schieben sich unregelmäßige<br />

Baumreihen ms Bild, die in einer alles verschlingenden Dunkelheit<br />

verschwimmen.<br />

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gern ich mich in dieses Bild hineinbegeben<br />

würde. Die Landschaft hat etwas dermaßen Ungezähmtes an sich, der<br />

Horizont etwas so Undurchdringliches, daß es auf mich wie eine tollkühne<br />

Verlockung wirkt. Natürlich würde man da draußen umkommen – von<br />

einem Puma zerfetzt, von einem Tomahawk getroffen werden oder einfach<br />

nur beim Gehen in einen jämmerlichen Tod stürzen. Das sieht man auf den<br />

ersten Blick. Und dennoch. Man sucht bereits den Vordergrund nach einem<br />

geeigneten Weg über die steilen Felsen hinunter zu dem Wildbach ab und<br />

fragt sich, ob der Engpaß dahinter wohl zu einem Nachbartal führt oder<br />

nicht. Lebt wohl, Freunde. Das Schicksal ruft. Wartet nicht <strong>mit</strong> dem Abendessen<br />

auf mich.<br />

Es gibt heute nichts Vergleichbares mehr. Vielleicht hat es solche Ausblicke<br />

nie gegeben. Wer weiß, welche Freiheiten sich diese romantischen Pinselquäler<br />

herausgenommen haben. Wer erklimmt schon an einem heißen Julinach<strong>mit</strong>tag<br />

<strong>mit</strong> Staffelei, Klappstuhl und Farbenkasten im Gepäck einen<br />

Aussichtsfelsen <strong>mit</strong>ten in gefährlicher Wildnis, wenn er nicht von dem<br />

Wunsch beseelt wäre, etwas Erhabenes und Großartiges auf die Leinwand<br />

zu bannen?<br />

Selbst wenn die Appalachen vor dem Industriezeitalter nur halb so wildromantisch<br />

waren wie auf dem Bild von Durand und denen anderer Maler,<br />

müssen sie doch etwas Spektakuläres an sich gehabt haben. Man kann sich<br />

heute kaum vorstellen, wie wenig bekannt das Hinterland der Ostküste einst<br />

war und welchen Reichtum es bot. Als Thomas Jefferson die beiden Forscher<br />

Meriwether Lewis und William Clark in die Wildnis schickte, rechnete<br />

er fest da<strong>mit</strong>, daß sie auf zottelige Mammuts und Mastodons stoßen

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