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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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Knochen durchnäßt gewesen. Vor einer knappen Dreiviertelstunde hatten<br />

wir in der Sonne noch fröhlich ein Liedchen gepfiffen. Jetzt begriff ich, wie<br />

man in den White Mountains zu Tode kommen konnte, sogar <strong>mit</strong>ten im<br />

Sommer.<br />

Ich befand mich gewissermaßen in einer leichten Notlage. Ich bibberte wie<br />

verrückt und fühlte mich seltsam benommen. Der Grat schien kein Ende zu<br />

nehmen, und in der milchigen Brühe war es unmöglich abzuschätzen, wann<br />

sich der Lafayette vor uns erheben würde. Ich schaute auf meine Uhr – zwei<br />

Minuten vor elf, genau richtig für eine Mittagspause, sollten wir jemals bei<br />

dieser verdammten Hütte ankommen. Ich tröstete mich <strong>mit</strong> dem Gedanken,<br />

daß ich wenigstens meinen Humor nicht verloren hatte. Jedenfalls kam es<br />

mir so vor. Angeblich ist ein verwirrter Mensch viel zu unsicher, um zu<br />

erkennen, daß er verwirrt ist. Logische Schlußfolgerung: Wenn man weiß,<br />

daß man nicht verwirrt ist, ist man nicht verwirrt. Es sei denn, kam es mir<br />

plötzlich in den Sinn – und ich war ganz fasziniert von dem Gedanken –, es<br />

sei denn, der Versuch, sich einzureden, man sei nicht verwirrt, ist lediglich<br />

ein erstes furchtbares Symptom für geistige Verwirrung. Vielleicht sogar für<br />

fortgeschrittene geistige Verwirrung. Wer weiß das schon? Durchaus möglich,<br />

daß ich mich auf eine Frühphase hilfloser Verwirrung zubewegte, die<br />

seitens des Betroffenen durch die Befürchtung gekennzeichnet ist, er bewege<br />

sich auf eine Frühphase hilfloser Verwirrung zu. Das ist das Problem,<br />

wenn man seinen Verstand verliert: Wenn er erst mal weg ist, kriegt man<br />

ihn nicht wieder.<br />

Ich schaute auf meine Uhr und stellte <strong>mit</strong> Schrecken fest, daß es immer<br />

noch zwei Minuten vor elf war. Mein Zeitgefühl war weg! Ich war vielleicht<br />

nicht in der Lage, meinen Grips verläßlich zu beurteilen, aber jetzt<br />

hatte ich den Beweis am Handgelenk. Wie lange würde es noch dauern, bis<br />

ich halbnackt durch die Gegend tanzte und versuchte, angebliche Flammen<br />

zu ersticken, oder mich die fixe Idee überkäme, der eleganteste Ausweg aus<br />

diesem Schlamassel wäre ein Sprung <strong>mit</strong> einem unsichtbaren Zauberfallschirm<br />

in die Talsohle? Ich jammerte ein bißchen vor mich hin, ging aber<br />

weiter, wartete eine geschlagene Minute ab und sah dann wieder auf meine<br />

Uhr. Immer noch zwei Minuten vor elf! Ich war geliefert!<br />

<strong>Bill</strong>, der anscheinend gänzlich unbekümmert war und unempfindlich gegenüber<br />

der Kälte und der natürlich keine Ahnung davon hatte, daß wir auf<br />

dem Grat bei diesem für die Jahreszeit untypischen Wind alles andere als<br />

vorankamen, drehte sich ab und zu um und fragte, wie es mir ging.<br />

»Gut!« sagte ich jedesmal, denn ich hätte mich geschämt einzugestehen,<br />

daß ich auf dem besten Weg war, meinen Verstand zu verlieren, bevor ich<br />

<strong>mit</strong> einem wissenden Lächeln auf den Lippen und dem Abschiedsruf »Bis<br />

nachher im Jenseits, alter Freund!« über den Rand des Grats springen wür-

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