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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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Bereits zu Nuttals Zeiten unterlag der Wald dramatischen Veränderungen.<br />

Pumas, Wapitis und Timberwölfe waren bereits ausgerottet, Biber und Bären<br />

standen kurz davor. Die meisten großen nordamerikanischen Kiefern<br />

der ersten Generation - Mastbaumkiefer, Strobe und Weymouthskiefer, von<br />

denen einige bis zu 70 Meter groß wurden, was ungefähr der Höhe eines<br />

zwanzigstöckigen Hauses entspricht – waren bereits gefällt worden, um<br />

daraus Schiffsmasten herzustellen oder um Weideland zu erhalten, der Rest<br />

war bis Ende des Jahrhunderts verschwunden. Es herrschte ein Geist der<br />

Rücksichtslosigkeit, die der Vorstellung entsprang, die Wälder Amerikas<br />

seien im Grunde unerschöpflich. Es war gang und gäbe, zweihundertjährige<br />

Pecanobäume einfach umzuhauen, weil sich so die Nüsse in den Ästen der<br />

Wipfel bequemer ernten ließen. Mit jedem Jahr veränderte sich der Charakter<br />

des Waldes sichtbar. Bis vor kurzem - leider nur bis vor kurzem – gab es<br />

allerdings einen Baum im Überfluß, was den Eindruck von paradiesischen<br />

Zuständen in den Wäldern Amerikas aufrecht erhielt: die Kastanie.<br />

Es gibt keinen anderen vergleichbaren Baum. Die amerikanische Kastanie<br />

streckt sich bis zu 30 Meter aus dem Waldboden empor, und ihre aufragenden<br />

Äste breiten sich zu einem unglaublich üppigen Baldachin aus, bis zu<br />

4.000 Quadratmeter pro Baum, Millionen Quadratmeter Blattfläche insgesamt.<br />

Obwohl nur halb so groß wie die höchsten Kiefern in den Wäldern der<br />

Ostküste, besitzt die Kastanie einiges mehr an Masse und Gewicht, und sie<br />

ist symmetrischer geformt. In Bodennähe erreicht ein ausgewachsener<br />

Baum bis zu drei Meter Durchmesser und über sechs Meter Umfang. Ich<br />

habe einmal ein Foto gesehen, das Anfang des Jahrhunderts aufgenommen<br />

wurde. Es zeigt eine Gesellschaft, die in einem Kastanienwald ein <strong>Picknick</strong><br />

veranstaltet, unweit von der Stelle, an der Katz und ich uns gerade befanden,<br />

in einem Gebiet, das zum Jefferson National Forest gehört. Es ist eine<br />

heitere Gruppe von Wochenendausflüglern, alle tragen schwere Kleidung,<br />

die Damen <strong>mit</strong> aufgespannten Sonnenschirmen, die Herren <strong>mit</strong> Melone und<br />

buschigen Schnauzbärten. Man sitzt im Halbkreis auf einer Decke auf einer<br />

Lichtung, vor einem Hintergrund aus steil einfallenden Sonnenstrahlen,<br />

zwischen Bäumen von sagenhafter Erhabenheit. Die Menschen nehmen sich<br />

so winzig aus, ihre Größe steht in einem so grotesken Mißverhältnis zu den<br />

sie umgebenden Bäumen, daß man sich im ersten Moment fragt, ob das Bild<br />

nicht manipuliert worden ist, so wie die Postkarten aus der Zeit, auf denen<br />

scheunentorgroße Wassermelonen oder Maiskolben zu sehen sind, die einen<br />

ganzen Wagen für sich beanspruchen, darunter die witzige Unterschrift:<br />

»Typische Farmszene in Iowa.« Aber so hat es tatsächlich einmal ausgesehen<br />

– auf Zehntausenden von Quadratkilometern Hügellandschaft von<br />

North und South Carolina bis New England. Alles verschwunden.<br />

1904 fiel einem Pfleger im Zoo der Bronx in New York auf, daß die schö-

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