Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf
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Reaktion darauf erhöhen die so gewarnten Eichenbäume die Produktion von<br />
Gerbsäure, um sich gegen den Überfall zu wappnen.<br />
Solche Mittel sind es, die die Natur am Leben erhalten. Probleme ergeben<br />
sich dann, wenn der Baum einem Angreifer gegenübersteht, für den ihn die<br />
Evolution nicht ausgerüstet hat, und selten war ein Baum einem Eindringling<br />
schutzloser ausgeliefert als seinerzeit die amerikanische Kastanie der<br />
Endothia parasitica. Dieser Parasit dringt mühelos in den Baum ein, verspeist<br />
die Kambiumzellen und stellt sich bereits auf einen Angriff auf den<br />
nächsten Baum ein, bevor ersterer – chemisch gesehen – auch nur eine<br />
Ahnung davon bekommt, was ihn befallen hat. Er breitet sich <strong>mit</strong>tels Sporen<br />
aus, die millionenfach in jedem Geschwür produziert werden. Ein einziger<br />
Specht kann allein <strong>mit</strong> einem Flug zwischen zwei Bäumen Milliarden<br />
Sporen transportieren. Auf dem Höhepunkt des Kastanienbaumsterbens in<br />
Amerika wurden <strong>mit</strong> jeder Windböe Milliarden von Sporen freigesetzt und<br />
als tödliche Wolke auf die Nachbarberge geweht. Die Sterberate lag bei 100<br />
Prozent. Nach gut 35 Jahren gehörte die amerikanische Kastanie der Vergangenheit<br />
an. Allein die Appalachen verloren im Zeitraum einer Generation<br />
vier Milliarden Bäume, die ein Viertel der Gesamtfläche einnahmen.<br />
Das ist natürlich eine große Tragödie. Aber was für ein Glück, wenn man<br />
bedenkt, daß solche Krankheiten wenigstens artenspezifisch sind. Viel<br />
schlimmer wäre es, wenn es statt Kastanienbaumsterben oder Ulmensterben<br />
oder dem schwarzen Brenner bei Hartriegel eine allgemeine Plage für Bäume<br />
gäbe, die wahllos alle treffen und unaufhaltsam ganze Wälder vernichten<br />
würde. Es gibt diese Plage aber bereits. Sie heißt saurer Regen.<br />
Genug der Wissenschaft, ich denke, das reicht für ein Kapitel. Aber bitte<br />
behalten Sie den Gedanken im Hinterkopf, denn eines kann ich Ihnen versichern:<br />
Es gab nicht einen Tag in den Wäldern der Appalachen, an dem ich<br />
nicht Dankbarkeit empfand für das, was von ihnen noch vorhanden war.<br />
Der Wald, durch den Katz und ich jetzt stapften, war nicht zu vergleichen<br />
<strong>mit</strong> den Wäldern, die die Generation unserer Väter noch gekannt hatte, aber<br />
immerhin waren wir von Bäumen umgeben. Und es war ein herrliches Gefühl,<br />
wieder in unserer vertrauten Umgebung zu sein. Eigentlich war es in<br />
jeder Hinsicht der gleiche Wald, den wir in North Carolina verlassen hatten<br />
- die gleichen gefährlich schiefen Bäume, der gleiche schmale braune Pfad,<br />
die gleiche ausgedehnte Stille, nur unterbrochen von unserem leisen Ächzen<br />
und angestrengten Schnaufen, als wir Berge erklommen, die sich als mindestens<br />
so steil erwiesen wie die, die wir hinter uns gelassen hatten, wenn<br />
auch nicht ganz so hoch. Aber obwohl wir uns jetzt ein paar hundert Kilometer<br />
weiter nördlich befanden, war hier der Frühling merkwürdigerweise<br />
schon weiter fortgeschritten. Die Bäume, vorwiegend Eichen, standen in<br />
voller Blüte, hier und da sah man Büschel von Wildpflanzen aus der Schicht