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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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in Wirklichkeit war. Ein unvorstellbar schöner Anblick. Daß dieser unendlich<br />

weite Ausblick nur einen Ausschnitt der Appalachen darstellte, daß da<br />

unten ein für alle offener, gepflegter Trail verlief, 3.540 Kilometer durch<br />

Berge und durch Wälder von ebenso erhabener Größe, war ein Gedanke,<br />

der einen geradezu überwältigte. Ich kann mich nicht erinnern, daß mir jemals<br />

in meinem Leben stärker ins Bewußtsein gerückt war, wie sehr die<br />

Vorsehung das Land, in dem ich auf die Welt gekommen bin, begünstigt<br />

hat. Das war der ideale Ort, um die Wanderung zu beenden.<br />

Es wäre mir sowieso nichts anderes übriggeblieben. Der Herbst ist nur kurz<br />

in New England. Wenige Tage nach meiner Tour auf den Killington setzte<br />

der Winter <strong>mit</strong> aller Macht ein. Die Wandersaison war eindeutig zu Ende.<br />

Kurz darauf, an einem Sonntagnach<strong>mit</strong>tag, saß ich zu Hause am Küchentisch<br />

<strong>mit</strong> Wanderbuch und Taschenrechner und zählte die Kilometer zusammen,<br />

die ich gegangen war. Ich überprüfte die Zahlen zweimal und schaute<br />

dann <strong>mit</strong> einem Gesichtsausdruck auf, der ungefähr so ausgesehen haben<br />

mag wie der von Katz und mir in dem Moment, als uns klar wurde, daß wir<br />

den Appalachian Trail niemals ganz schaffen würden.<br />

Ich hatte l .400 Kilometer geschafft, weit weniger als die Hälfte des AT. Die<br />

ganze Mühe, der ganze Schweiß, all der Dreck, die Tage endlosen Marschierens,<br />

die Nächte auf hartem Boden – und all das belief sich zum<br />

Schluß nur auf 39,5 Prozent des Weges. Weiß der Himmel, wie andere den<br />

gesamten Trail bewältigen. Ich habe nur ungläubiges Staunen für die übrig,<br />

die die ganze Strecke gehen. Und dennoch, 1.400 Kilometer sind auch kein<br />

Pappenstiel. Es entspricht der Entfernung zwischen New York und Chicago,<br />

sogar etwas mehr. Wenn ich diese Strecke ohne eine Vorgabe zu Fuß gegangen<br />

wäre, wären jetzt alle ziemlich stolz auf mich.<br />

Ich gehe immer noch häufig auf dem Trail hinter unserem Haus wandern,<br />

meist wenn ich bei meiner Arbeit mal steckenbleibe. Meistens bin ich in<br />

Gedanken versunken, aber irgendwann kommt jedesmal der Moment, in<br />

dem ich aufschaue und um mich blicke und <strong>mit</strong> ungetrübter Bewunderung<br />

erkenne, was für ein unglaublich kompliziertes und empfindliches Gebilde<br />

der Wald ist, <strong>mit</strong> welch zwangloser Mühelosigkeit elementare Dinge sich<br />

zusammenfügen und eine Komposition bilden, die, welche Jahreszeit auch<br />

immer herrscht und wohin ich meinen berauschten Blick auch wende, perfekt<br />

ist. Nicht bloß sehr feingliedrig oder herrlich, sondern perfekt, nicht<br />

weiter zu verbessern. Man braucht nicht Berge hinaufzusteigen, sich nicht<br />

durch Schneestürme zu kämpfen, nicht im Matsch auszurutschen, nicht tagein,<br />

tagaus im wahrsten Sinne des Wortes bis an seine Grenzen zu gehen,<br />

um zu dieser Erkenntnis zu gelangen – aber glauben Sie mir, es hilft dabei.<br />

Ein paar Dinge bedaure ich natürlich. Ich bedaure, daß ich den Katahdin<br />

nicht hinaufgegangen bin. (Ich verspreche, das werde ich nachholen.) Ich

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