Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf
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Oberfläche geschleudert worden sei, was die herrlichen Furchen, die leuchtenden,<br />
vitrophyrischen Kristalle und das schuppige, biotische Glimmern<br />
erkläre, kann ich nur antworten: »Meine Güte! Sagen Sie bloß!« Aber ich<br />
könnte nicht behaupten, daß ich dabei irgend etwas Spektakuläres empfinden<br />
würde.<br />
Nur gelegentlich ist mir ein Einblick in die Wunderwelt der Geologie vergönnt.<br />
Delaware Water Gap ist ein solcher Ort. Hier ragt der Kittatinny<br />
Mountain über dem ruhigen Delaware River auf, eine Wand aus Stein, 400<br />
Meter hoch, aus widerstandsfähigem Quarzit, der freigelegt wurde, als sich<br />
der gleichmäßige, gemächliche Wasserlauf auf seinem Weg zum Meer eine<br />
Passage durch weicheres Gestein suchte. Das Ergebnis ist ein Querschnitt<br />
durch einen Berg und ein Anblick, den man nicht alle Tage geboten bekommt,<br />
jedenfalls -wüßte ich nicht, wo man so etwas entlang des Appalachian<br />
Trail sonst noch bewundern könnte. Und dieser hier ist besonders<br />
eindrucksvoll, weil der freigelegte Quarzit in langen, wellenförmigen Streifen<br />
angeordnet ist, die in einem so schrägen Winkel zueinander liegen –<br />
etwa 45 Grad - daß selbst ein <strong>mit</strong> bescheidener Phantasie ausgestatteter<br />
Mensch begreift, daß sich hier etwas Grandioses zugetragen hat, geologisch<br />
gesehen.<br />
Es ist ein wunderschöner Anblick. Vor 100 Jahren wurde er <strong>mit</strong> dem Rhein<br />
verglichen und sogar <strong>mit</strong> den Alpen, was ich ein wenig übertrieben finde.<br />
Der Maler Georges Innes kam hierher und malte sein berühmtes Bild »Delaware<br />
Water Gap«. Es zeigt den Fluß, der sich träge durch wiesenartige<br />
Felder schlängelt, in denen vereinzelt Bäume und Farmhäuser stehen; fern<br />
im Hintergrund ragen herbstlich gefärbte Hügel auf, in die ein V eingekerbt<br />
ist, durch das der Delaware fließt. Es sieht aus wie eine Landschaft in Yorkshire<br />
oder Cumbria, die auf den amerikanischen Kontinent verpflanzt worden<br />
ist. Um die Mitte des letzten Jahrhunderts erhob sich ein stolzer Bau am<br />
Flußufer, das Hotel Kittatinny House <strong>mit</strong> 250 Zimmern, das so erfolgreich<br />
war, daß sehr schnell weitere Hotels folgten. Für die Dauer einer Generation<br />
nach dem Bürgerkrieg war der Delaware Water Gap der beliebteste Ferienort<br />
der feineren Gesellschaft im Sommer. Dann wechselte – wie immer in<br />
solchen Fällen – die Mode, und die White Mountains waren angesagt, danach<br />
die Niagara-Fälle, dann die Catskills und schließlich die Disney Parks.<br />
Heute kommt fast niemand mehr nach Water Gap, um ein paar Tage zu<br />
bleiben. Noch immer drängen sich Menschenmassen hier, aber sie kommen<br />
<strong>mit</strong> Autos, halten an einem Rastplatz an, werfen kurz einen anerkennenden<br />
Blick auf die Sehenswürdigkeit, steigen wieder ein und fahren weiter.<br />
Leider muß man sich heute schon sehr anstrengen, um eine Vorstellung von<br />
der stillen Schönheit zu ergattern, die Innes einst so angezogen hat. Water<br />
Gap ist nicht nur die einzige Attraktion im Osten Pennsylvanias, die man als