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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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später in dichtem, eiskalten Nebel ihrem Tod entgegentaumeln – das sind<br />

Geschichten, die man sich am Lagerfeuer erzählt, aber sie sind leider auch<br />

wahr. Wenige hundert Meter unterhalb des Gipfels von Little Haystack<br />

Mountain passierte uns das gleiche. Urplötzlich war die Sonne verschwunden,<br />

und wie aus dem Nichts rollte eine Dunstwolke zwischen den Bäumen<br />

heran. Da<strong>mit</strong> ging ein so rapider Temperatursturz einher, als hätten wir<br />

einen Kühlraum betreten. Innerhalb von Minuten war der Wald in Nebel<br />

gehüllt, feucht und kühl. Die Baumgrenze in den White Mountains liegt an<br />

manchen Stellen bereits bei 1.460 Meter, halb so hoch wie in den meisten<br />

anderen Regionen, weil die Witterung sehr viel strenger ist, und jetzt sah ich<br />

auch warum. Als wir aus dem Krummholz hervortraten, die Zone aus verkrüppelten<br />

Bäumen, die den letzten Ausläufer des Waldes vor der Baumgrenze<br />

markiert, und das kahle Dach des Little Haystack betraten, schlug<br />

uns <strong>mit</strong> einem Mal ein heftiger Wind entgegen – die Sorte Wind, die einem<br />

die Mütze vom Kopf reißt und sie ein paar hundert Meter weiterweht, bevor<br />

man überhaupt dazu kommt, eine Hand zu heben. Vorher war er durch den<br />

Berg über uns auf den geschützten Westhang abgelenkt worden, aber jetzt<br />

fegte er ungehindert über den bloßliegenden Gipfel. Wir stellten uns in den<br />

Windschatten einiger Felsen, um unsere Regencapes überzuziehen. Sie<br />

spendeten uns zusätzliche Wärme, denn ich war schon von der schweißtreibenden<br />

Anstrengung und der feuchten Luft ganz naß am Körper – ein ziemlich<br />

unangenehmer Zustand, wenn die Außentemperaturen sinken und der<br />

Wind jede Körperwärme wegbläst. Ich machte meinen Rucksack auf, wühlte<br />

in meinen Sachen herum und schaute dann <strong>mit</strong> jenem Gesichtsausdruck<br />

hoch, der <strong>mit</strong> einer bestürzenden Erkenntnis einhergeht: Ich hatte mein<br />

Regencape vergessen. Ich durchwühlte noch einmal meinen Rucksack, aber<br />

es war ja kaum etwas drin – eine Karte, ein dünner Pullover, eine Wasserflasche<br />

und ein Lunchpaket. Ich überlegte kurz und erinnerte mich <strong>mit</strong> einem<br />

innerlichen Stoßseufzer daran, daß ich das Regencape ein paar Tage<br />

vorher ausgepackt, im Keller zum Lüften aufgehängt und dann vergessen<br />

hatte, es wieder einzupacken.<br />

<strong>Bill</strong>, der das Band an der Kapuze seiner Windjacke strammzog, sah zu mir<br />

herüber. »Ist irgendwas?«<br />

Ich sagte es ihm. Er machte ein besorgtes Gesicht. »Willst du umkehren?«<br />

»Nein, nein.« Das wollte ich wirklich nicht. Außerdem, so schlimm war es<br />

nun auch wieder nicht. Es regnete nicht, mir war nur ein bißchen kühl. Ich<br />

zog den Pullover an und fühlte mich gleich besser. Wir schauten beide auf<br />

die Karte: Wir hatten schon fast alle Gipfel erklommen, und zum Lafayette<br />

waren es nur zweieinhalb Kilometer entlang eines Grats, danach folgte ein<br />

steiler 360 Meter tiefer Abstieg zur Greenleaf Hut, einer Berghütte <strong>mit</strong> einer<br />

Cafeteria. Wenn ich mich aufwärmen mußte, dann schien es ratsamer wei-

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