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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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schließend zufrieden in unseren Betten vor dem Fernseher.<br />

Am nächsten Morgen trabte ich früh zum nächsten Kmart und kaufte zwei<br />

komplette Herrenausstattungen – Strümpfe, Unterwäsche, Jeans, Turnschuhe,<br />

Taschentücher und die beiden schrillsten Hemden, die ich auftreiben<br />

konnte, eines <strong>mit</strong> Booten und Ankern drauf, das andere <strong>mit</strong> den berühmtesten<br />

Sehenswürdigkeiten Europas. Ich kehrte zum Motel zurück, überreichte<br />

eines der Pakete <strong>mit</strong> Klamotten Katz, der total begeistert war, ging auf mein<br />

Zimmer und zog mir die neuen Sachen an. Zehn Minuten später trafen wir<br />

uns auf dem Parkplatz wieder, frisch rasiert, schick angezogen, und machten<br />

uns gegenseitig Komplimente. Wir hatten einen ganzen freien Tag vor<br />

uns und gingen erst mal frühstücken. Danach bummelten wir zufrieden<br />

durch die bescheidenen Einkaufsstraßen, stöberten aus Langeweile in Secondhandläden,<br />

stießen auf ein Geschäft für Campingausrüstung, wo ich<br />

einen Ersatz für meinen Wanderstab erstand, der genauso aussah wie der,<br />

den ich verloren hatte. Anschließend aßen wir zu Mittag und beschlossen,<br />

am Nach<strong>mit</strong>tag spazierenzugehen. Deswegen waren wir ja hier.<br />

Wir stießen auf eine Bahnlinie, die dem Verlauf des Shenandoah River<br />

folgte. Es gibt nichts Schöneres, nichts, was ich stärker <strong>mit</strong> Sommer verbinde,<br />

als in einem neuen Hemd Bahngleise entlangzuschlendern. Wir gingen<br />

ohne Eile, ohne bestimmten Zweck, wie Bergmenschen auf Urlaub, plauderten<br />

unentwegt über Gott und die Welt, traten gelegentlich zur Seite, um<br />

einen Güterzug vorbeirattern zu lassen, und freuten uns ungemein an der<br />

kräftigen Sonne, den verlockend schimmernden, unendlichen Gleisen und<br />

dem schlichten Vergnügen, sich auf Beinen fortzubewegen, die nicht müde<br />

waren. So spazierten wir fast bis Sonnenuntergang. Schöner hätten wir den<br />

letzten Tag nicht verbringen können.<br />

Am nächsten Morgen gingen wir wieder frühstücken, und dann folgten drei<br />

Stunden elender Warterei neben der Einfahrt des Motel-Parkplatzes: den<br />

Verkehr beobachten, Ausschau halten nach einem bestimmten Auto voller<br />

strahlender, aufgeregter, lang ersehnter Gesichter. Wochenlang hatte ich<br />

versucht, diesen verborgenen Ort des Schmerzes, wo die Gedanken an meine<br />

Familie hausten, nicht zu betreten, aber jetzt, wo sie bald da sein würde –<br />

jetzt, wo ich meinen Gedanken freien Lauf lassen konnte –, war die Vorfreude<br />

unerträglich.<br />

Sie können sich die Wiedersehensfreude vorstellen, als meine Familie endlich<br />

kam, die überschwenglichen Umarmungen, das vielstimmige Geschnatter,<br />

das Durcheinander unwichtiger, aber wunderbar detaillierter Informationen<br />

über die Schwierigkeit, die richtige Interstate-Ausfahrt und das Motel<br />

zu finden, das Lob für Dads trainierten Körper, das Mißfallen über sein<br />

neues Hemd. Plötzlich fiel mir Katz wieder ein, verschämt stand er abseits<br />

und grinste. Ich versuchte, ihn in die Begrüßung <strong>mit</strong> einzubeziehen, in das

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