Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf
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zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dank ungehinderter Einwanderung<br />
standen Bergarbeiter in unbegrenzter Menge zur Verfügung. Als die Waliser<br />
zu aufsässig wurden, holte man Iren. Als die Iren nicht mehr zufriedenstellend<br />
arbeiteten, holte man Italiener, Polen oder Ungarn. Die Arbeiter<br />
wurden nach Tonnen bezahlt, was sie dazu antrieb, die Kohle <strong>mit</strong> leichtsinniger<br />
Eile herauszuhauen, und was selbstverständlich auch bedeutete, daß<br />
jeder Aufwand, der getrieben wurde, um die Arbeit sicherer oder bequemer<br />
zu gestalten, nicht entlohnt . wurde. Stollen wurden wild in die Erde getrieben,<br />
wie Löcher in Schweizer Käse, was häufig ganze Talregionen zum<br />
Absinken brachte. 1846 brachen in Carbondale Stollen auf einer Fläche von<br />
20 Hektar ohne jede Vorwarnung <strong>mit</strong> einem Schlag zusammen, was Hunderte<br />
Menschenleben forderte. Explosionen und Brände waren an der Tagesordnung.<br />
Zwischen 1870 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließen<br />
in amerikanischen Bergwerken 50.000 Arbeiter ihr Leben.<br />
Die Ironie des Schicksals will es, daß Anthrazitkohle sehr schwer entflammbar<br />
ist, aber kaum zu löschen, wenn sie einmal brennt. Die Geschichten<br />
über unkontrollierte Grubenbrände im östlichen Pennsylvania sind Legion.<br />
Ein Feuer zum Beispiel brach 1850 in Lehigh aus und erlosch erst zur<br />
Zeit der Großen Depression, 80 Jahre nach seinem Ausbruch.<br />
Und hier komme ich <strong>mit</strong> meiner Geschichte nach Centralia. Ein Jahrhundert<br />
lang war Centralia ein solides, beschauliches Bergarbeiterstädtchen. Wie<br />
schwer das Leben für die ersten Grubenarbeiter auch gewesen sein mag, in<br />
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedenfalls war Centralia eine einigermaßen<br />
blühende, behagliche, betriebsame kleine Stadt <strong>mit</strong> knapp 2.000<br />
Einwohnern. Die Stadt besaß ein belebtes Geschäftsviertel, <strong>mit</strong> Banken,<br />
Post und der üblichen Auswahl an Läden und kleinen Kaufhäusern, eine<br />
High School, vier Kirchen, einen Old Fellows Club, ein Rathaus – <strong>mit</strong> anderen<br />
Worten, es war eine typische, gemütliche, einigermaßen anonyme amerikanische<br />
Kleinstadt.<br />
Leider hockte die Gemeinde aber auch auf über 30 Millionen Tonnen Anthrazitkohle.<br />
1962 entzündete sich durch den Brand einer Müllhalde am<br />
Stadtrand ein Kohlenflöz. Die Feuerwehr verspritzte zigtausend Liter Wasser,<br />
aber jedesmal, wenn es so aussah, als sei das Feuer erloschen, flackerte<br />
es wieder auf – wie der beliebte Scherzartikel, diese Geburtstagskerzen, die<br />
man ausbläst und die sich einen Augenblick später von selbst wieder entflammen.<br />
Danach begann das Feuer, sich durch die unterirdischen Flöze zu<br />
fressen. Über ein ausgedehntes Gebiet stieg gespenstischer Rauch vom<br />
Boden auf, wie Dampf von einem See in der Morgendämmerung. Der Asphalt<br />
auf dem Highway 61 wurde so heiß, daß man ihn nicht berühren konnte,<br />
dann bekam die Decke Risse und senkte sich ab, so daß die Straße unpassierbar<br />
wurde. Die Zone, aus der der Rauch aufstieg, zog unter dem