Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf
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hauchdünnen Asphaltdecke, über einem brennenden Feuer, das seit 35 Jahren<br />
außer Kontrolle war. Sich ausgerechnet an diesen Ort in ganz Amerika<br />
zu begeben zeugt nicht gerade von besonderer Klugheit. Vielleicht war es<br />
nur meine buchstäblich erhitzte Phantasie, jedenfalls erschien mir der Boden<br />
plötzlich ausgesprochen schwammig und elastisch, als würde ich auf<br />
einer Matratze gehen. Ich machte rasch wieder kehrt und lief zu meinem<br />
Wagen zurück.<br />
Wenn ich so darüber nachdenke, erscheint es mir merkwürdig, daß jeder<br />
Verrückte, ich eingeschlossen, in einem so offenkundig gefährlichen und<br />
instabilen Ort wie Centralia <strong>mit</strong> dem Auto spazierenfahren und sich alles<br />
ansehen kann, aber es gab nichts, das einen davon abgehalten hätte herumzustreunen.<br />
Noch merkwürdiger fand ich allerdings, daß Centralia nicht<br />
vollständig evakuiert worden ist. Diejenigen, die nicht wegziehen mochten<br />
und <strong>mit</strong> der Gefahr leben wollten, daß ihr Haus eines Tages von der Erde<br />
verschluckt würde, durften bleiben, und einige hatten sich offenbar dafür<br />
entschieden. Ich fuhr <strong>mit</strong> dem Auto zu einem einsamen Haus <strong>mit</strong>ten im<br />
ehemaligen Stadtzentrum. Das in einem blassen Grün gestrichene Haus war<br />
gepflegt und gut erhalten. Gespenstisch. Auf einer Fensterbank standen eine<br />
Vase <strong>mit</strong> künstlichen Blumen und anderer Nippes. Vor der frisch gestrichenen<br />
Veranda befand sich ein Beet <strong>mit</strong> Ringelblumen, allerdings stand<br />
kein Auto in der Einfahrt, und niemand öffnete auf mein Klingeln die Haustür.<br />
Mehrere andere Gebäude stellten sich bei näherem Hinsehen als unbewohnt<br />
heraus. An zwei Häusern waren Fenster und Türen <strong>mit</strong> Brettern vernagelt,<br />
und es hingen Schilder dran, »Achtung! Betreten verboten!«. In fünf, sechs<br />
anderen Häusern, darunter drei kleine Reihenhäuser am Ende des Stadtparks,<br />
lebten offensichtlich noch Menschen, in einem Vorgarten lag sogar<br />
Kinderspielzeug (wer um Himmels willen möchte hier Kinder großziehen?).<br />
Aber nirgends reagierte jemand auf mein Klingeln. Entweder waren alle in<br />
der Arbeit oder lagen, wie ich vermutete, längst mausetot in der Küche. Bei<br />
einem Haus, an dem ich klingelte, bewegte sich eine Gardine, wie ich mir<br />
einbildete, aber ich war mir nicht sicher. Wer weiß, wie gestört die Leute<br />
sind, nachdem sie 30 Jahre auf einem Inferno gelebt und Unmengen von<br />
CO2 inhaliert haben, beziehungsweise wie genervt von Fremden, die fröhlich<br />
an ihre Tür klopften und ihre Stadt als Kuriosum betrachteten. Insgeheim<br />
war ich erleichtert, daß niemand auf mein Klingeln reagierte, denn mir<br />
wäre ums Verrecken keine Frage eingefallen, <strong>mit</strong> der ich ein Gespräch hätte<br />
beginnen können.<br />
Es war bereits nach Mittag, ich fuhr daher die restlichen acht Kilometer<br />
nach Mt. Carmel, der nächsten Stadt, <strong>mit</strong> dem Auto. Mt. Carmel war eine<br />
kleine Überraschung nach Centralia – ein lebendiges Städtchen, angenehm