06.12.2012 Aufrufe

Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ging runter zum See, wo eine Hütte stand.<br />

Ironischerweise handelte es sich um den schönsten Lagerplatz, den ich je<br />

am Appalachian Trail gesehen hatte, und ausgerechnet hier war Katz nicht<br />

dabei. Cloud Pond war ein zirka 80 Hektar großes, ruhiges Gewässer, umgeben<br />

von einem dunklen Wald aus Nadelbäumen, deren Wipfel wie spitze,<br />

schwarze Silhouetten in den fahlen, blauen Abendhimmel ragten. Die Hütte,<br />

die ich ganz für mich allein hatte, stand 30 bis 40 Meter vom Seeufer entfernt<br />

und etwas erhöht. Sie war ziemlich neu und absolut sauber. Nebenan<br />

gab es ein Plumpsklo. Es war perfekt. Ich legte meine Sachen auf das<br />

Schlafpodest und ging ans Ufer, um Wasser zu filtern, da<strong>mit</strong> ich das nicht<br />

morgen früh machen mußte. Dann zog ich mich bis auf die Shorts aus,<br />

stapfte ein paar Schritte in das dunkle Wasser hinein und wusch mich <strong>mit</strong><br />

meinem Stirnband. Wenn Katz hier gewesen wäre, hätte ich mich auch<br />

getraut zu schwimmen. Ich versuchte, nicht an ihn zu denken, versuchte zumindest,<br />

mir nicht vorzustellen, wie er einsam im Wald umherirrte. Ich<br />

konnte jetzt ohnehin nichts für ihn tun.<br />

Statt dessen setzte ich mich auf einen Stein und schaute mir den Sonnenuntergang<br />

an. Der See war sagenhaft schön. Im Licht der langen Strahlen der<br />

untergehenden Sonne schimmerte die Wasseroberfläche golden. In Ufernähe<br />

kreisten zwei Seetaucher, als machten sie sich nach dem Abendessen<br />

noch zu einem kleinen Spazierflug auf. Ich beobachtete sie eine ganze Weile,<br />

und mir fiel ein Naturfilm ein, den ich vor einiger Zeit auf BBC gesehen<br />

hatte.<br />

Seetaucher sind keine geselligen Tiere. Nur gegen Ende des Sommers, kurz<br />

bevor sie zum Nordatlantik zurückfliegen, wo sie auf stürmischen Wellen<br />

reitend den Winter verbringen, laden sie sich gegenseitig zu kleinen Versammlungen<br />

ein. Ein Dutzend oder mehr Seetaucher von den Nachbarseen<br />

fliegen herbei, und alle schwimmen ein paar Runden im Wasser. Es gibt<br />

keinen ersichtlichen Grund dafür, außer der puren Freude am Zusammensein.<br />

Der jeweilige Gastgeber führt seinen Gästen stolz, aber doch zurückhaltend<br />

sein Territorium vor – zuerst geht es zu seiner Lieblingsbucht, dann<br />

vielleicht zu einem umgestürzten Baum, dann weiter zu einem weichen<br />

Teppich aus Wasserlilien. »Hier gehe ich morgens immer gern auf Fischfang«,<br />

teilt er den anderen <strong>mit</strong>. »Und an dieser Stelle da wollen wir nächstes<br />

Jahr unser Nest bauen.« Die anderen Seetaucher folgen ihm emsig und<br />

zeigen sich höflich interessiert. Man weiß nicht, warum sie das tun (so wenig,<br />

wie man weiß, warum ein Mensch einem anderen Menschen gern sein<br />

renoviertes Badezimmer zeigen will) oder wie sie diese Zusammenkünfte<br />

organisieren, dennoch finden sich die Tiere jeden Abend zur rechten Zeit<br />

am richtigen See ein, <strong>mit</strong> einer Gewißheit, als hätte man ihnen eine Einladung<br />

geschickt: »Wir feiern ein Fest!« Ich finde so etwas wundervoll. Mei-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!