Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf
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Leben und Tod gegangen war und Unmengen heißen Kaffees eine Rolle<br />
gespielt haben mußten. Für mich jedenfalls war es das Paradies. Ich rief<br />
Katz an, aus purer Lust, mal wieder ein Telefon zu benutzen, und ich erfuhr,<br />
daß sein Zimmer noch schlimmer aussah. Wir waren hochzufrieden.<br />
Wir duschten, zogen die letzten frischen Klamotten an, die wir hatten und<br />
begaben uns erwartungsvoll in ein beliebtes, nahegelegenes Bistro, das sich<br />
Georgia Mountain Restaurant nannte. Auf dem Parkplatz standen lauter<br />
Pick-up-Trucks, und drinnen saßen lauter Fleischklöpse <strong>mit</strong> Baseballmützen<br />
auf dem Kopf. Wenn ich in die Menge gerufen hätte: »Telefon für dich,<br />
Bubba!« es wäre bestimmt jeder zweite aufgesprungen. Das Georgia Mountain<br />
verfügte nicht gerade über eine Küche, für die sich eine Anreise gelohnt<br />
hätte, nicht mal innerhalb der Stadtgrenzen von Hiawassee, aber dafür war<br />
das Essen einigermaßen billig. Für 5,50 Dollar bekam man »Fleisch plus<br />
drei« – die Zahl bezog sich auf die Beilagen –, einen Gang ans Salatbüffet<br />
und Nachtisch. Ich bestellte gebratenes Hühnchen, Erbsen, Röstkartoffeln<br />
und »Ruterbeggars« (gelbe Kohlrüben, die korrekterweise »Rutabagas«<br />
geschrieben werden wie auf der Speisekarte zu lesen war). Die hatte ich<br />
noch nie probiert und werde sie wohl auch so schnell nicht wieder probieren.<br />
Wir aßen schmatzend und <strong>mit</strong>« Lust und bestellten viel Eistee zum<br />
Runterspülen.<br />
Der Nachtisch war natürlich der Höhepunkt. Jeder Wanderer auf dem Trail<br />
träumt unterwegs von irgendeinem Gericht, meist etwas Süßem, Klebrigem.<br />
Die Phantasie, die mich am Laufen hielt, rankte sich um ein überdimensionales<br />
Stück Kuchen. Es hatte mich tagelang beschäftigt, und als die Kellnerin<br />
jetzt kam, um unsere Bestellung aufzunehmen, bat ich sie <strong>mit</strong> einem fle<br />
henden Blick, wobei ich meine Hand auf ihren Unterarm legte, mir das<br />
größte Stück Kuchen zu bringen, das sie mir abschneiden konnte, ohne<br />
ihren Job zu riskieren. Sie brachte mir ein riesiges, pappiges, kanariengelbes<br />
Stück Zitronenkuchen. Es war ein wahres Monument der Lebens<strong>mit</strong>telindustrie,<br />
so knallgelb, daß man vom Anblick allein Kopfschmerzen bekam, so<br />
süß, daß es einem die Augäpfel in die Stirnhöhlen trieb – kurzum, es bot<br />
alles, was man von einem Kuchen dieser Sorte erwartete, solange man Geschmack<br />
und Qualität als Bewertungskriterien vernachlässigte. Ich wollte<br />
gerade herzhaft reinbeißen, als Katz sein langes Schweigen brach und <strong>mit</strong><br />
großer Nervosität in der Stimme sagte: »Weißt du, was ich die ganz Zeit<br />
mache? Ich gucke alle paar Minuten zur Tür, um zu sehen, ob Mary Ellen<br />
hereinkommt.«<br />
Ich hörte auf zu essen, die Gabel <strong>mit</strong> der fettglänzenden Masse auf halbem<br />
Weg zum Mund, und stellte <strong>mit</strong> beiläufigem Staunen, fest, daß sein Nachtischteller<br />
bereits leer war. »Du willst mir doch nicht weismachen, daß sie<br />
dir fehlt, Stephen?« sagte ich und schob die Gabel dahin, wo sie hingehörte.