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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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len, aber es gelang mir nicht. Er sah mich kein einziges Mal an, aber ich bin<br />

mir sicher, daß er mich bemerkt hatte. Man entwickelt ein Gespür für die<br />

Anwesenheit von anderen Menschen im Wald, und wenn man merkt, daß<br />

Leute in der Nähe sind, wartet man meist, bis sie einen eingeholt haben, nur<br />

um guten Tag zu sagen, ein paar Worte zu wechseln oder zu fragen, ob<br />

jemand den Wetterbericht gehört hat. Der Mann vor mir blieb nie stehen<br />

oder wartete, veränderte nie sein Schrittempo, schaute sich nie um. Am<br />

späten Nach<strong>mit</strong>tag verschwand er aus meinem Blickfeld, und ich sah ihn nie<br />

wieder.<br />

Am Abend erzählte ich Katz von meinem Erlebnis.<br />

»Meine Güte«, murmelte er, »jetzt fängst du schon an zu halluzinieren.«<br />

Am nächsten Tag sah Katz den Mann. Diesmal blieb der Fremde hinter ihm,<br />

immer in der Nähe, ohne zu überholen. Es war höchst seltsam. Danach<br />

sahen wir ihn beide nicht wieder. Wir sahen überhaupt niemanden mehr.<br />

Das hatte zur Folge, daß wir jeden Abend die Schutzhütten ganz für uns<br />

allein hatten, was ein echter Luxus war. Man muß schon ziemlich tief gesunken<br />

sein, wenn man sich für ein überdachtes Holzpodest begeistern<br />

kann, das man für eine Nacht sein eigen nennen darf – aber so war es, wir<br />

waren begeistert. Die meisten Schutzhütten auf diesem Abschnitt des Trails<br />

sind neu und blitzsauber. Manche waren <strong>mit</strong> einem Besen ausgestattet, eine<br />

gemütliche, häusliche Note. Die Besen wurden sogar benutzt - wir benutzten<br />

sie jedenfalls und pfiffen ein Liedchen dabei –, ein Beweis dafür, daß<br />

der AT-Wanderer dankbar für alles ist, was ihm Bequemlichkeit verschafft,<br />

und verantwortungsbewußt da<strong>mit</strong> umgeht. Jede Hütte hat ein Plumpsklo in<br />

der Nähe, außerdem eine gute Wasserquelle und einen <strong>Picknick</strong>tisch, so daß<br />

wir unsere Mahlzeiten in mehr oder weniger normaler Körperhaltung zubereiten<br />

konnten und dabei nicht auf einem feuchten Baumstamm hocken<br />

mußten. Das alles ist echter Luxus für die Wanderer auf dem Appalachian<br />

Trail. Am Abend des vierten Tages, als ich mich<br />

<strong>mit</strong> der trüben Aussicht konfrontiert sah, bald mein einziges Buch ausgelesen<br />

zu haben, und da<strong>mit</strong>, daß mir für die Nächte danach nichts anderes<br />

übrigbleiben würde, als im Halbdunkel zu liegen und Katz’ Geschnarche zu<br />

lauschen, entdeckte ich plötzlich ein Buch von Graham Green, das ein früherer<br />

Gast liegengelassen hatte. Ich war hocherfreut und unendlich dankbar.<br />

Wenn es etwas gibt, das man auf dem AT lernt, dann ist es die Freude über<br />

kleine Dinge – etwas, das uns allen im Leben ganz gut tun würde.<br />

Ich war selig. Wir marschierten 25 Kilometer am Tag, nicht annähernd die<br />

40 Kilometer, die man angeblich schaffen konnte, wie man uns gesagt hatte,<br />

aber eine ganz ansehnliche Strecke für unsere Verhältnisse. Ich fühlte mich<br />

beschwingt, körperlich fit, und zum ersten Mal seit Jahren sah mein Bauch<br />

nicht mehr wie eine Wampe aus. Ich war immer noch müde und steif am

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