Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf
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guten alten AT, der nach sechs Jahrzehnten immer noch still und bescheiden<br />
seine Aufgabe erfüllt, getreu seinen Grundprinzipien, sympathischerweise<br />
ohne sich darum zu kümmern, daß die Welt sich ein ganzes Stück weiterentwickelt<br />
hat. Eigentlich ein Wunder.<br />
Katz brauchte neue Schnürbänder, wir gingen daher in einen Laden für<br />
Wanderausrüstung, und während er sich in der Schuhabteilung umtat,<br />
schlenderte ich ein bißchen herum. An einer Wand war eine Karte aufgehängt,<br />
die den gesamten Verlauf des Appalachian Trail durch alle 14 Bundesstaaten<br />
zeigte. Die östliche Meeresküste war seitenverkehrt dargestellt,<br />
so daß man den Eindruck bekam, der Trail habe eine genaue Nordsüd-<br />
Ausrichtung, was es den Kartographen ermöglichte, den Wanderweg in<br />
einem ordentlichen Rechteck unterzubringen, 15 Zentimeter breit, 1,2 Meter<br />
lang. Ich sah mir die Karte <strong>mit</strong> gierigem, geradezu besitzergreifendem Interesse<br />
an – es war das erste Mal, seit ich von New Hampshire aufgebrochen<br />
war, daß ich den Weg in seiner Gesamtlänge sah –, dann trat ich <strong>mit</strong><br />
weit aufgerissenen Augen und heruntergefallener Kinnlade näher heran.<br />
Von der 120 Zentimeter langen Wanderkarte, die mir von den Knien bis ungefähr<br />
zum Scheitel reichte, hatten wir gerade mal die untersten fünf Zentimeter<br />
absolviert.<br />
Ich ging los und suchte Katz, packte ihn am Arm, als ich ihn aufgestöbert<br />
hatte, und zog ihn hinter mir her zu der Pinnwand. »Was ist los?« sagte er.<br />
Ich wies auf die Karte. »Na und?« Katz mochte keine Rätsel.<br />
»Guck dir mal die Karte an, und dann guck dir an, wieviel wir gegangen<br />
sind.«<br />
Er sah hin, er sah noch mal hin. Ich beobachtete ihn, während sein Gesicht<br />
ausdruckslos wurde. »Meine Fresse«, stöhnte er schließlich. Er wandte sich<br />
mir zu, Erstaunen stand ihm jetzt ins Gesicht geschrieben. »Wir haben ja<br />
noch überhaupt nichts geschafft.«<br />
Wir gingen erstmal einen Kaffee trinken und blieben eine Zeitlang in fassungslosem<br />
Schweigen verharrend am Tisch sitzen. Was hatten wir nicht<br />
alles getan und erlebt – die ganzen Mühen und Strapazen, die Schmerzen,<br />
die Feuchtigkeit, die Berge, der grauenhafte pappige Nudelfraß, die<br />
Schneestürme, die langweiligen Abende <strong>mit</strong> Mary Ellen, die vielen, vielen<br />
nicht enden wollenden, zäh errungenen Kilometer – und alles summierte<br />
sich gerade mal zu fünf Zentimetern. Meine Haare waren in der Zeit mehr<br />
gewachsen.<br />
Eins stand fest: Wir würden niemals bis Maine wandern.<br />
In gewisser Weise war das befreiend. Wenn wir nicht den ganzen Weg<br />
wandern konnten, dann brauchten wir ihn auch nicht ganz zu wandern – ein<br />
Gedanke, der an Anziehungskraft gewann, je mehr wir uns <strong>mit</strong> ihm vertraut