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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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Sack an Ihnen zerrt, ähnlich der Zugkraft eines abwärts fahrenden Aufzugs.<br />

Stellen Sie sich vor, Sie gingen <strong>mit</strong> diesem Gewicht auf dem Rücken stundenlang,<br />

tagelang zu Fuß, und Sie gingen nicht auf einer asphaltierten Straße<br />

<strong>mit</strong> Bänken und Imbißbuden, die in rücksichtsvoll angemessenen Abständen<br />

aufgestellt sind, sondern auf einem rauhen Weg, gespickt <strong>mit</strong><br />

scharfkantigen Steinen und starren Wurzeln und schwindelerregenden Anstiegen,<br />

die allesamt Ihren zarten, zittrigen Schenkeln ungeheure Strapazen<br />

abverlangen. Beugen Sie nun den Kopf nach hinten, bis sich Ihr Nacken<br />

verspannt, und visieren Sie einen Punkt in drei Kilometern Entfernung an.<br />

Das ist Ihr erster Aufstieg. Bis zum Gipfel sind es steile 1.427 Meter, und<br />

von dem Kaliber kommen noch einige Gipfel. Jetzt erzählen Sie mir nicht,<br />

11,2 Kilometer seien nicht viel. Und noch etwas. Sie müssen ja nicht. Ich<br />

meine, wir sind hier nicht bei der Armee. Sie können sofort umkehren.<br />

Nach Hause gehen. Zu Ihrer Familie. Im eigenen Bett schlafen.<br />

Oder aber – Sie können es sich aussuchen, Sie bedauernswerter, armer kleiner<br />

Kerl – Sie laufen 3.500 Kilometer durch die Wildnis und über Berge bis<br />

nach Maine. Und so trottete ich weiter, Stunde um Stunde, unter viel Weh<br />

und Ach, imposante Berge rauf und runter, an endlosen Reihen hoch aufragender<br />

Bäume vorbei, die unbeweglich, wie Gäste auf einer Cocktailparty,<br />

dastanden, und die ganze Zeit dachte ich: Langsam müßte ich die elf Kilometer<br />

geschafft haben. Aber nie hörte der Wanderpfad auf.<br />

Um halb vier erklomm ich einige in Stein gehauene Stufen und befand mich<br />

auf einem breiten Aussichtsfelsen: der Gipfel des Springer Mountain. Ich<br />

warf meinen Rucksack ab und plumpste gegen einen Baum, überrascht von<br />

dem Ausmaß meiner Erschöpfung. Die Aussicht war bezaubernd – die geschwungenen<br />

Hügel der Cohutta Mountains, von einem bläulichen Dunstschleier<br />

umfangen, wie Zigarettenrauch, der sich am fernen Horizont verliert.<br />

Die Sonne stand bereits niedrig am Himmel. Ich ruhte mich ein paar<br />

Minuten aus, stand dann auf und sah mich um. An einem Stein war eine<br />

Bronzeplatte befestigt, die den Ausgangspunkt des Appalachian Trail anzeigte,<br />

und unweit davon war auf einem Pfahl ein Holzkasten montiert, in<br />

dem ein an einem Bindfaden befestigter Kugelschreiber lag, dazu ein Notizblock,<br />

dessen Seiten sich von der Feuchtigkeit wellten. Der Notizblock war<br />

das Gipfelbuch, das Trail Register – eigentlich hatte ich ein ledergebundenes,<br />

irgendwie prächtiges Buch erwartet –, und es war vollgekritzelt <strong>mit</strong><br />

hoffnungsfrohen Einträgen, fast alleinjugendlicher Handschrift. Seit dem<br />

ersten Januar gab es etwa 25 Einträge, allein acht am heutigen Tag. Die<br />

meisten waren in Eile hingeworfen und klangen munter – »2. März. Da sind<br />

wir! Ganz schön kalt hier! Man sieht sich auf dem Katahdin. Jamie und<br />

Spud.« Ungefähr ein Drittel war länger und besinnlicher, versehen <strong>mit</strong> Botschaften<br />

wie dieser: »Da bin ich endlich auf dem Springer. Ich weiß nicht,

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