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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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»Wie heißen Sie?« fragte ich ihn.<br />

»Die Leute sagen Chicken John zu mir.«<br />

»Chicken John!« Chicken John war eine Berühmtheit. Ich war ziemlich<br />

aufgeregt. Manche Leute auf dem Trail erlangen wegen irgendeiner besonderen<br />

Eigenart einen geradezu mythischen Status. Am Anfang unserer<br />

Wanderung hörten Katz und ich zum Beispiel dauernd von einem jungen<br />

Mann, der eine absolute Hightech-Ausrüstung besaß, wie man sie bislang<br />

noch nie gesehen hatte, unter anderem ein Zelt, das sich von allein aufstellte.<br />

Offenbar brauchte man nur einen Beutel zu öffnen, und es flog heraus,<br />

wie ein Schachtelteufelchen aus seinem Karton. Außerdem hatte er noch ein<br />

Satellitennavigationsgerät und verschiedenen anderen Hokuspokus. Das<br />

einzige Problem war, daß sein Kucksack am Ende über 40 Kilo wog. Er<br />

mußte aufgeben, bevor er Virginia erreicht hatte, deswegen haben wir ihn<br />

nie gesehen. Im Jahr zuvor hatte sich Woodrow Murphy, der dicke Wanderer,<br />

ähnlichen Ruhm erworben. Mary Ellen wäre diese Ehre sicher auch<br />

zuteil geworden, wenn sie nicht schon längst aufgegeben hätte. Dieses Jahr<br />

war also Chicken John dran – aber ich konnte mich beim besten Willen<br />

nicht mehr an den Grund dafür erinnern. Es war Monate her, daß ich in<br />

Georgia das erste Mal von ihm gehört hatte.<br />

»Woher kommt der Name Chicken John?« fragte ich ihn.<br />

»Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht«, sagte er, als hätte er sich die Frage<br />

auch schon oft gestellt.<br />

»Wann sind Sie losgegangen?«<br />

»Am 27 Januar.«<br />

»Am 27 Januar?« sagte ich leise erstaunt und rechnete rasch im Kopf nach.<br />

»Das sind ja fast fünf Monate.«<br />

»Das brauchen Sie mir nicht zu erzählen«, sagte er <strong>mit</strong> gespieltem Gram.<br />

Er war seit fast einem halben Jahr unterwegs und hatte gerade erst Dreiviertel<br />

der Strecke nach Katahdin zurückgelegt.<br />

»Wieviel -«, ich wußte nicht recht, wie ich mich ausdrücken sollte – »wie<br />

viele Kilometer laufen Sie am Tag, John?«<br />

»Ach, 22 bis 23, wenn alles klappt. Allerdings« – er sah mich scheel an –<br />

»verlaufe ich mich oft.«<br />

Genau. Das war’s. Chicken John verlief sich andauernd und kam an den<br />

unmöglichsten Stellen heraus. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie man sich<br />

auf dem Appalachian Trau verirren kann. Er ist der am deutlichsten und<br />

besten markierte Wanderpfad, den man sich vorstellen kann. Gewöhnlich ist<br />

es der Teil des Waldes, wo keine Bäume stehen. Wer zwischen Bäumen und<br />

einer langen, offenen Schneise unterscheiden kann, der dürfte keine<br />

Schwierigkeiten haben, sich auf dem AT zurechtzufinden. Wo auch nur die<br />

geringsten Unsicherheiten auftreten könnten, wenn der AT etwa auf einen

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