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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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de. Vermutlich war ihm noch nie ein Patient auf einem Berggipfel abhanden<br />

gekommen, und ich wollte ihn nicht unnötig aufregen. Außerdem war ich<br />

mir nicht hundertprozentig sicher, daß ich die Kontrolle über mich verlor,<br />

ich fühlte mich nur ziemlich elend.<br />

Ich weiß nicht, wie lange wir bis zum Gipfel des Lafayette brauchten, jedenfalls<br />

kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Vor 100 Jahren stand ein Hotel<br />

an diesem öden, abschreckenden Ort, und die vom Wind traktierten Fundamente<br />

sind immer noch eine Art Wahrzeichen. Ich habe sie auf Fotos gesehen,<br />

aber ich kann mich kein bißchen an sie erinnern. Ich war voll und ganz<br />

auf den Abstieg über den Nebenwanderweg zur Greenleaf Hut konzentriert.<br />

Er führte über ein riesiges Geröllfeld und dann, ungefähr anderthalb Kilometer<br />

weiter, durch Wald. Kaum hatten wir den Gipfel hinter uns gelassen,<br />

legte sich der Wind, und nach 150 Metern hatte sich alles wieder beruhigt.<br />

Das war geradezu gespenstisch, und auch der Nebel hing nur noch hier und<br />

da in Fetzen. Plötzlich konnten wir die Welt unter uns erkennen, und auch,<br />

wie weit oben wir uns befanden, fast abgehoben, obwohl alle anderen Gipfel<br />

in der Umgebung von Wolken verhüllt waren. Zu meiner Überraschung<br />

und Genugtuung ging es mir gleich besser. Ich richtete mich <strong>mit</strong> einem<br />

neuen Gefühl der Stärke auf, und mir wurde klar, daß ich die ganze Zeit<br />

über <strong>mit</strong> einem regelrechten Buckel gegangen war. Es ging mir wirklich<br />

viel besser, ich fror nicht mehr, und mein Kopf war wieder klar.<br />

»So schlimm war es nun auch wieder nicht«, sagte ich <strong>mit</strong> einem derben<br />

Bergwandererlachen zu <strong>Bill</strong> und drängte weiter zur Hütte.<br />

Greenleaf Hut ist eine von zehn malerischen und in diesem Fall besonders<br />

praktischen Steinhütten, die von dem altehrwürdigen Appalachian Mountain<br />

Club in den White Mountains betrieben werden. Der AMC, der vor über<br />

120 Jahren gegründet wurde, ist nicht nur der älteste Wanderverein in Amerika,<br />

sondern auch die älteste »Bürgerinitiative«, die sich überhaupt um die<br />

Belange des Umweltschutzes kümmert. Der Verein verlangt stolze 50 Dollar<br />

für Übernachtung und Halbpension und wird infolgedessen von den<br />

Weitwanderern nur als Appalachian Money Club bezeichnet. Zu seiner<br />

Verteidigung wäre zu sagen, daß der AMC ein Wegenetz von 2.250 Kilometern<br />

in den White Mountains unterhält, ein ausgezeichnetes Besucherzentrum<br />

in Pinkham Notch führt, lesenswerte Bücher herausgibt und jeden<br />

Wanderer in seinen Hütten aufnimmt, auch wenn er nur aufs Klo muß,<br />

Wasser holen oder sich einfach nur ausruhen will – ein Service, den wir<br />

jetzt dankbar in Anspruch nahmen.<br />

Wir bestellten uns einen heißen Kaffee und setzten uns da<strong>mit</strong> an einen der<br />

vielen langen Tische zu den anderen verschwitzten Hikern und verzehrten<br />

unser Lunchpaket. In der Hütte herrschte eine sehr angenehme Atmosphäre,<br />

die Einrichtung war einfach und rustikal, <strong>mit</strong> einer hohen Decke und viel

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