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Picknick mit Baren - Bryson, Bill.pdf

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1850 bestand New England zu 70 Prozent aus Ackerland und zu 30 Prozent<br />

aus Wald. Heute ist das Verhältnis genau umgekehrt. Wahrscheinlich gibt<br />

es in der entwickelten Welt keine Region, die in gerade mal einem Jahrhundert<br />

so dramatische Veränderungen erlebt hat, oder jedenfalls keine, die<br />

dem normalen Verlauf des Fortschritts zuwiderlaufen.<br />

Wenn man sich für den Beruf des Farmers entschieden hat, gibt es eigentlich<br />

kein ungeeigneteres Land als New England. Der Boden ist steinig, das<br />

Gelände steil und das Wetter so schlecht, daß die Leute regelrecht stolz<br />

darauf sind. Ein Jahr in Vermont besteht, einem alten Sprichwort zufolge,<br />

aus »neun Monaten Winter, gefolgt von drei Monaten <strong>mit</strong> schlechten Rodelbedingungen«.<br />

Bis Mitte des letzten Jahrhunderts überlebten die Farmer in New England<br />

nur wegen der Nähe zu den Küstenstädten Boston und Portland, und, so<br />

meine Vermutung, weil sie nichts anderes kannten. Dann geschahen zwei<br />

Dinge: erstens die Erfindung der McCormick-Mähmaschine, die sich ideal<br />

für die Bewirtschaftung der großen, kaum hügeligen Felder im Mittleren<br />

Westen eignete, aber auf den steinigen, schmalen Feldern New Englands<br />

völlig nutzlos war, und zweitens das Aufkommen der Eisenbahn, die den<br />

Farmern des Mittleren Westens die Möglichkeit gab, ihre Produkte praktisch<br />

ohne Zeitverlust in den Osten des Landes zu transportieren. Da konnten<br />

die New-England-Farmer nicht <strong>mit</strong>halten und wanderten vielfach in den<br />

Mittleren Westen ab. 1860 lebte fast die Hälfte aller in Vermont Gebürtigen<br />

woanders -200.000 von 450.000 Menschen.<br />

1840, während des Präsidentschaftswahlkampfs, hielt Daniel Webster auf<br />

dem Stratton Mountain in Vermont eine Rede vor 20.000 Menschen. 20<br />

Jahre später hätte er von Glück sagen können, wenn 50 Zuhörer gekommen<br />

wären. Stratton Mountain ist heute weitgehend von Wald bedeckt, nur wenn<br />

man genauer hinschaut, kann man hier und da noch Kellereingänge und die<br />

überwucherten Reste von Obstgärten erkennen, die sich in den schattigen<br />

»Untergeschossen« zwischen jüngeren, widerstandsfähigeren Birken, Ahorn-<br />

und Walnußbäumen behaupten. Überall in New England finden sich<br />

ehemalige, eingestürzte Einfriedungsmauern, häufig <strong>mit</strong>ten im dichtesten<br />

Wald, der aussieht, als stünde er schon seit Jahrhunderten da – ein Zeichen<br />

dafür, wie geschwind sich die Natur das Terrain zurückerobert.<br />

Ich erklomm Stratton Mountain an einem wolkenverhangenen, gnädigerweise<br />

kühlen Junitag. Es waren sechseinhalb Kilometer Fußweg zum Gipfel,<br />

der bei etwas über l .200 Meter liegt. In Vermont folgt der AT auf einer<br />

Länge von 160 Kilometern den Spuren des Long Trail, der sich über die<br />

höchsten und bedeutendsten Gipfel der Green Mountains bis hinauf nach<br />

Kanada zieht. Eigentlich ist der Long Trail sogar älter als der AT. Er wurde<br />

1921 eröffnet, in dem Jahr, als man den AT konzipierte, und einige Long-

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