I Erwerbsarbeit, Eigenarbeit, handwerkliche Arbeit und Soziale Arbeit
I Erwerbsarbeit, Eigenarbeit, handwerkliche Arbeit und Soziale Arbeit
I Erwerbsarbeit, Eigenarbeit, handwerkliche Arbeit und Soziale Arbeit
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Das Kreativzentrum Wolfen-Nord<br />
ist. Eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff, mit Zielen <strong>und</strong> Absichten<br />
scheint nicht stattgef<strong>und</strong>en zu haben.<br />
Aus unserer Sicht ist das, was in den Werkstätten in der offenen Nutzung geschieht<br />
dennoch <strong>Eigenarbeit</strong>, selbstbestimmt (Mittelsten Scheid), nicht marktvermittelt (Mückenberger),<br />
gebrauchswertorientiert <strong>und</strong> für den eigenen Bedarf (Müller). Es ist indessen<br />
nicht das Gleiche wie das, was vielleicht in München oder Kempten geschieht. Den<br />
Maßstäben des Stifters hält diese Praxis nicht stand. Er zieht eine scharfe Grenze zum<br />
Heimwerken <strong>und</strong> schreibt: „<strong>Eigenarbeit</strong> ist das Gegenteil von Konsum. (…) <strong>Eigenarbeit</strong><br />
sucht den eigenen Weg, die individuelle Lösung, konzentriert sich auf die vorhandenen<br />
Fähigkeiten, die eigene Ästhetik, den tatsächlichen Nutzwert. Entscheidend ist, was<br />
der Tätige aus dem Selbermachen lernt“ (anstiftung, Broschüre). In Wolfen-Nord, wo<br />
die meisten Menschen sehr wenig Geld zur Verfügung haben, ist <strong>Eigenarbeit</strong> bezogen<br />
auf den Holz- <strong>und</strong> Metallbereich aus Sicht der Anleiter attraktiv, „weil’s billig is“ (M 249).<br />
Das ist es deshalb, weil die Nutzung der Werkstätten fast gebührenfrei ist. Eine deutli-<br />
che Diskrepanz besteht zu München <strong>und</strong> Kempten, wo aufgr<strong>und</strong> der Raumnutzungs-<br />
<strong>und</strong> AnleiterInnengebühren <strong>Eigenarbeit</strong> häufig teurer ist, als das Kaufen fertiger Produkte.<br />
Eine Eins-zu-Eins<br />
Übertragung des Münchner Konzeptes nach Wolfen-Nord<br />
konnte deshalb nicht gelingen, eine Adaption war unbedingt notwendig für das Fortbestehen<br />
des Projektes.<br />
Eine durch das BMBF geförderte Forschungsgruppe, die „Modellprojekte nachhaltigen<br />
Wirtschaftens“ in der Region, u. a. auch das Kreativzentrum, untersucht hatten, stellte<br />
dies bereits 2002 fest: „Im Kontext der Debatte um die Zukunft der <strong>Arbeit</strong> diskutierte,<br />
„alternative“, <strong>Erwerbsarbeit</strong> ergänzende Formen individueller Existenzsicherung wie<br />
<strong>Eigenarbeit</strong>,<br />
New Work, nichtmonetäre Tauschsysteme, fanden keine positive Reso-<br />
nanz;<br />
entsprechende Versuche waren fragil oder bereits gescheitert“ (Adler et al 2002,<br />
S. 10) .<br />
<strong>Eigenarbeit</strong> im Kontext der Mangelsituation<br />
<strong>Eigenarbeit</strong> geschieht nach unserer Interpretation aus ökonomischen Motiven heraus.<br />
Die politisch-visionäre Dimension des Konzeptes <strong>Eigenarbeit</strong>, also das Ziel der Etablie-<br />
rung <strong>und</strong> Aufwertung anderer Formen von <strong>Arbeit</strong> gegenüber der <strong>Erwerbsarbeit</strong>, spielt<br />
in der heutigen <strong>Arbeit</strong> des Kreativzentrums offensichtlich keine Rolle, es wurde in keiner<br />
Weise von den Befragten angesprochen. Während Jens Mittelsten Scheid sagt,<br />
„umso normierter die Fertigung <strong>und</strong> das Produkt, desto weniger erfährt er oder sie sich<br />
selber“ (ebd.), orientiert man sich in Wolfen-Nord an der Konsumwelt: „Ideen kommen,<br />
wenn ich mir z. B. so’n Prospekt anschau <strong>und</strong> ich seh da dann was Gutes, dat wir sagen,<br />
das werd ich auch nachbasteln“ (M 321-322). Die Kreativität der Menschen ist un-<br />
103