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enetzten. Die Lateiner waren untröstlich, daß sie die Asche nicht<br />

in Urnen sammeln konnten. Die Nomaden vermißten den heißen<br />

Sand, in dem ihre Toten zu Mumien wurden, und die Kelten ihre<br />

üblichen drei unbehauenen Steinblöcke, den regnerischen Himmel<br />

ihrer Heimat und den Blick auf eine Bucht voll kleiner Inseln.<br />

Lautes Gejammer erscholl, dann folgte lange Stille.<br />

Das geschah, um die Seelen zur Rückkehr zu zwingen. Nach<br />

regelmäßigen Pausen hub das Geschrei immer wieder an.<br />

Man entschuldigte sich bei den Toten, daß man sie<br />

nicht ehren könne, wie die Bräuche es verlangten, denn ohne die<br />

frommen Zeremonien mußten sie unendliche Zeiträume hindurch<br />

unter allerlei Schicksalen und Verwandlungen umherirren. Man<br />

rief sie an. Man fragte sie nach ihren Wünschen. Andre überhäuften<br />

sie mit Schmähungen, weil sie sich hatten besiegen lassen.<br />

Der Feuerschein der großen Scheiterhaufen ließ die<br />

blutleeren Gesichter, die hie und da an zerbrochenen Rüstungen<br />

lehnten, noch bleicher erscheinen. Tränen riefen neue Tränen<br />

hervor. Das Schluchzen ward heftiger, die Erkennungsszenen<br />

und letzten Umarmungen wilder. Weiber warfen sich Mund an<br />

Mund, Stirn an Stirn auf die Toten. Man mußte sie mit Schlägen<br />

wegtreiben, wenn man die Gräber zuschaufelte. Man schwärzte<br />

sich die Wangen, schnitt sich das Haar ab, riß sich selber Wunden<br />

und ließ das Blut in die Gräber fließen. Oder man brachte sich<br />

Schnitte bei, Abbilder der Wunden, die geliebte Tote entstellten.<br />

Wehgeschrei durchtönte den Klang der Zimbeln. Manche rissen<br />

sich ihre Amulette ab und spien sie an. Sterbende krümmten sich<br />

in blutigem Schlamm und bissen vor Wut in ihre verstümmelten<br />

Fäuste. Dreiundvierzig Samniter, ein ganzer »heiliger Frühling«,<br />

mordeten einander wie Gladiatoren. Bald gebrach es an Holz für<br />

die Scheiterhaufen. Die Flammen erloschen. Alle Gräber waren<br />

voll. Müde vom Schreien, erschöpft und schwach, schliefen die<br />

Lebendigen neben ihren toten Kameraden ein, die einen mit dem<br />

Wunsch, am Leben bleiben zu wollen, und sei es in Angst und Not,<br />

die andern, um am liebsten nicht wieder zu erwachen.<br />

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