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2<br />

Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

starken politischen Aufladung von Architektur<br />

und Städtebau.<br />

Aus der Untersuchung der historischen<br />

Phänomene von Reliquienkult, Heiligenverehrung<br />

und Volksreligiosität ergeben<br />

sich – sofern man säkulare und ersatzreligiöse<br />

Formen nicht aus einer religionswissenschaftlichen<br />

Sicht ausschließt –<br />

zahlreiche Parallelen zur gegenwärtigen<br />

Rekonstruktionswelle (vgl. Kap. 3.33). So<br />

besteht in beiden Fällen ein wesentlicher<br />

Konflikt um die Deutung von Authentizität,<br />

es werden unterschiedliche Wertungen<br />

zwischen der Auffassung und Handeln<br />

der Bevölkerung in der Auslegung<br />

der Elitenkultur deutlich und es zeigt sich,<br />

dass empfundene religiöse bzw. kulturelle<br />

Lücken durch die jeweilige Gesellschaft<br />

durch neue Kultformen zu schließen versucht<br />

werden. Schließlich wird auch auf<br />

die jeweilige Bedeutung materieller Spuren,<br />

„heiliger“ bzw. besonderer Orte und<br />

Bilder verwiesen.<br />

Weiterhin hat in Deutschland in den letzten<br />

25 Jahren ein Wandel in der Erinnerungskultur<br />

stattgefunden (vgl. Kap. 3.34).<br />

Das gesellschaftliche Klima hat sich dahingehend<br />

geändert, dass zunehmend<br />

auch ein Gedenken der deutschen Opfer,<br />

menschlicher wie baulicher, möglich wird,<br />

ohne dass ein Verdacht der Relativierung<br />

der deutschen Schuld im Zweiten Weltkrieg<br />

aufkommt. Orte gelten aufgrund ihrer<br />

relativen Stabilität als besondere Form<br />

von Erinnerungsmedien. Sie werden daher<br />

als Schauplätze der Vergangenheit angesehen,<br />

die auch noch für die Gegenwart<br />

von Bedeutung sind. Nach der Generation,<br />

die den Krieg selbst miterlebt hat und der<br />

darauf folgenden, die sich extrem kritisch<br />

mit Deutschland im Nationalsozialismus<br />

auseinander gesetzt hat, können die jungen<br />

Erwachsenen heute unverkrampfter<br />

mit dem Thema umgehen, was auch die<br />

Bemühungen um den Wiederaufbau von<br />

im Krieg zerstörten Gebäuden vereinfacht.<br />

Dieser Abschnitt stellt den Übergang zum<br />

Kapitel 3.4 dar, in dem neuere gesellschaftliche<br />

Veränderungen beschrieben, auf die<br />

Rekonstruktionswelle bezogen und vor<br />

dem Hintergrund der Infragestellung der<br />

architektonisch-städtebaulichen Moderne<br />

(vgl. Kap. 3.41) diskutiert werden.<br />

Ehemals identitätsstiftende Merkmale wie<br />

Erwerbsarbeit und Geschlechterrollen verlieren<br />

seit einigen Jahrzehnten rapide an<br />

Bedeutung (vgl. Kap. 3.42). Dadurch werden<br />

andere Identitätsanker, z. B. raumbezogene<br />

wie der Wohnort, immer wichtiger.<br />

Den Individuen kommt es in diesem Zusammenhang<br />

darauf an, sich zwar einerseits<br />

einer Gemeinschaft zuordnen und<br />

sich so mit ihr identifizieren zu können,<br />

andererseits aber auch von anderen absetzen<br />

zu können. Die so entstehende personale<br />

und kollektive Identität muss bewusst<br />

hergestellt werden. Architektur und Design<br />

– und demnach auch das Vorhandensein<br />

besonderer und lokale Tradition widerspiegelnder<br />

Gebäude – sind sowohl für<br />

Einzelpersonen als auch für Städte beliebte<br />

Hilfsmittel zur Distinktion und Selbststilisierung.<br />

Durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft,<br />

der zunehmenden Rationalisierung<br />

und Auflösung traditionaler Einbindungen,<br />

ist es den Individuen geboten, andere<br />

Möglichkeiten zu finden, ihre soziale<br />

Zugehörigkeit nach außen kommunizieren.<br />

Rekonstruktionen sind unter Umständen<br />

eine solche Möglichkeit, da sie (vgl.<br />

Kap. 3.43) einer Stadt und damit auch ihren<br />

Bewohnern Besonderheit und Einzigartigkeit<br />

verleihen. Zudem minimieren sie<br />

aber das Risiko der Einzelnen, das sie in<br />

einer individualisierten Gesellschaft in allen<br />

Lebensbereichen tragen, da sie mit ihrer<br />

traditionellen Ästhetik an Altbekanntes<br />

anknüpfen und die Betrachter und<br />

Nutzern sich nicht auf etwas Neues einlassen<br />

müssen. Es wird in diesem Abschnitt<br />

versucht, aus verschiedenen Milieuzuordnungen<br />

potenzielle Befürwortern von Rekonstruktionen<br />

zu identifizieren.<br />

Auch die Sehnsucht nach Heimat (vgl. Kap.<br />

3.44) ist in einer mobilen Gesellschaft nicht<br />

zu unterschätzen. So entstehende Heimatlosigkeitsempfindungen,<br />

wirtschaftliche<br />

und kulturelle Globalisierungsprozesse<br />

und ein damit einhergehender gefühlter<br />

Verlust lokaler Einzigartigkeit werden als<br />

Grundlage für eine erneute Konjunktur<br />

gesehen. Im Gegensatz zu früheren Heimatbegriffen<br />

hat der moderne eine aktive<br />

Komponente, die die bewusste Aneignung<br />

eines Ortes als (Wahl-)Heimat und<br />

das lokale gesellschaftliche Engagement<br />

vorsieht. Dazu gehört die Trauer um den<br />

Verlust an historischer Bausubstanz. Der<br />

neuen Architektur wurde die Symbolqualität<br />

abgesprochen. Ohne diesen essenziellen<br />

Bestandteil der gebauten Umwelt werde<br />

es den Bewohnern unmöglich gemacht,<br />

sich in ihr zu orientieren, sich mit ihr zu<br />

identifizieren und sie in der Konsequenz<br />

als Heimat anzuerkennen. Der Wunsch

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