PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Wiederaufbauprozesse: Zentrale Einflussfaktoren<br />
101<br />
fläche für Wünsche und Sehnsüchte nach<br />
der „schönen Stadt“. Sie lassen den entsprechend<br />
gestimmten Betrachter den „hässlichen“<br />
Rest der Stadt zumindest während<br />
seines Aufenthalts in der Geschichtsinsel<br />
vergessen oder bieten Identifikations- und<br />
Erlebnisorte an, die den „hässlichen Rest“<br />
weniger dominant und damit leichter erträglich<br />
werden lassen.<br />
4.32 Stadtstrukturelle Funktion<br />
In den Ausführungen zur ästhetischen<br />
Funktion der Überwindung von hier zunächst<br />
gestalterischen Defiziten der Nachkriegsmoderne<br />
deutet sich bereits an, dass<br />
das entsprechende Argument in unterschiedlichem<br />
Maße zu einer Debatte um<br />
stadtstrukturelle Funktionen von Architektur<br />
und Städtebau der Moderne und<br />
Nachmoderne erweitert wird. Innerhalb<br />
dieses Argumentationsstranges wird der<br />
Rekonstruktionswunsch direkt zurückgeführt<br />
auf die bereits seit den 1960er Jahren<br />
bestehende Stadtkritik, wie sie etwa<br />
in den Werken Jane Jacobs’ oder Alexander<br />
Mitscherlichs (1965) Beschreibung der<br />
„Unwirtlichkeit unserer Städte“ zum Ausdruck<br />
kommt und die sich seit den 1970er<br />
Jahren vor allem mit der Forderung nach<br />
einem behutsamen Umgang mit dem Bestand<br />
und einem verstärkten Engagement<br />
im Bereich des nun auch städtebaulichen<br />
Denkmalschutzes zeigt. Wohl nicht zufällig<br />
entstanden zu dieser Zeit auch die<br />
ersten Überlegungen zu Wiederaufbauvorhaben<br />
der gegenwärtigen Rekonstruktionswelle.<br />
Wesentliche Kritikpunkte sind<br />
die fehlende Orientierung der Gebäude an<br />
der Straße, die Aufhebung der eindeutigen<br />
Trennung von öffentlichen und privaten<br />
Flächen, die Zusammenfassung vormals<br />
kleinteiliger Parzellen sowie der Überschreitung<br />
früherer Höhenbegrenzungen,<br />
aber auch die Nicht-Beachtung der Geschichtlichkeit<br />
als wesentlichen Elementen<br />
der Europäischen Stadt. Zumindest die<br />
städtebaulichen Prinzipien der „vormodernen“<br />
Städte sind unter diesem Begriff<br />
mittlerweile auch zum planerischen Leitbild<br />
geworden, ohne dass seine Verfechter<br />
notwendigerweise zugleich Rekonstruktionen<br />
oder auch nur traditionelle Architektur<br />
befürworten würden. Ein wesentliches<br />
gemeinsames Argument ist dabei die langfristige,<br />
modenunabhängige Erprobung<br />
und Bewährung des früheren Stadtgrundrisses.<br />
Ganz offensichtlich kann einem einzelnen<br />
Gebäude oder Ensemble nicht die Funktion<br />
zufallen, die gesamte Stadtstruktur<br />
zu reparieren, und nur selten kann man<br />
davon ausgehen, dass davon eine solche<br />
Wirkung für einen wesentlichen Stadtbereich<br />
ausgeht (vgl. etwa die Diskussion<br />
um die städtebauliche Funktion des Berliner<br />
Stadtschlosses). In der Regel ist zudem<br />
nicht erkennbar, warum die Funktion nicht<br />
ebenso gut (oder schlecht) von einem dem<br />
früheren Stadtgrundriss folgenden Neubau<br />
im Sinne einer „Kritischen Rekonstruktion“<br />
zufallen sollte, die von den meisten<br />
Rekonstruktionsbefürwortern ganz im<br />
Gegensatz zu vielen der oben angeführten<br />
Verfechtern des Leitbilds der „Europäischen<br />
Stadt“ abgelehnt wird. Insofern mag<br />
die Zuschreibung einer stadtstrukturellen<br />
Funktion entweder der Hoffnung auf eine<br />
Fortführung in weiteren Wiederaufbauvorhaben<br />
entspringen, die in der Summe<br />
dann tatsächlich eine solche Funktion erfüllen<br />
könnten, oder als eine symbolische<br />
Handlung begriffen werden, die als Zeichen<br />
für eine insgesamt veränderte städtebauliche<br />
Haltung und daraus resultierende<br />
mittel- bis langfristige stadtstrukturelle<br />
Veränderungen interpretiert werden könnte.<br />
In beiden Fällen wäre dann die eigentliche<br />
Funktion des Wiederaufbauvorhabens<br />
jedoch keine direkt stadtstrukturelle<br />
und würde diese lediglich als – letztlich allenfalls<br />
mittelbar zutreffendes – Argument<br />
verwendet. Weiterhin zeigt sich allerdings<br />
– etwa im Fall des Potsdamer und ansatzweise<br />
des Berliner Stadtschlosses -, dass<br />
stadtstrukturelle Ziele in Verbindung mit<br />
einem prominenten Wiederaufbauvorhaben<br />
leichter vermittelbar scheinen, so dass<br />
Wiederaufbauvorhaben auch dazu genutzt<br />
werden, planerischen Überlegungen<br />
zur Überwindung eines stadtstrukturellen<br />
Defizits stärkeren Nachdruck zu verleihen.<br />
Umgekehrt werden stadtstrukturelle Argumente<br />
dazu genutzt, Wiederaufbauvorhaben<br />
durchzusetzen. Welches Ziel dabei<br />
jeweils für die Durchsetzung des anderen<br />
Ziels eingesetzt wird, muss im Einzelnen<br />
analysiert werden.