PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Grundlagen für eine Qualifizierung der Debatten über „Identität durch Rekonstruktion“<br />
307<br />
„Die politischen Botschaften der Interbau<br />
– Westberlin ist als politische und wirtsaviertel<br />
trotz – oder gerade wegen – der<br />
innerstädtischen Lage als durchgrüntes<br />
Quartier des modernen Wohnens zu installieren<br />
(vgl. Dolff-Bonekämper/Schmidt<br />
1999: 38). Weitere Beispiele der angestrebten<br />
gesellschaftlichen Modernisierung<br />
sind am Wohnverhalten und bei der Einrichtung<br />
festzumachen. Einige Wohnungen<br />
waren zur Interbau mit Mustereinrichtungen<br />
ausgestattet, außerdem waren<br />
die Grundrisse der Wohnungen bei Bedarf<br />
an veränderte Anforderungen anzupassen,<br />
eine weitere Befreiung von Traditionen<br />
und Zeichen des Fortschritts (vgl. Hoff<br />
2007: 18; Dolff-Bonekämper 2007: 207 f.).<br />
In dieses Bild passt auch der Einsatz neuer<br />
Baumaterialien und Konstruktionstechniken<br />
(vgl. Arndt 2007; Kötter/ Pieper/<br />
Schulz 2007: 40).<br />
Das Hansaviertel lässt unterschiedliche<br />
Dimensionen der Bedeutungsbeladung<br />
erkennen, die, obwohl nicht immer unkritisch,<br />
das „Gesamtwerk“ Hansaviertel<br />
formen bzw. zu seiner gesellschaftlichen<br />
Wahrnehmung beitragen.<br />
Ein konkreter Vorwurf bezog sich auf den<br />
Umgang mit der Vorgeschichte des Hansaviertels,<br />
das vor dem Zweiten Weltkrieg<br />
eine große Anzahl jüdischer Mieter und<br />
Hauseigentümer aufwies. Dolff-Bonekämper<br />
und Schmidt (1999: 24) führen dazu<br />
ergänzend aus: „Aus heutiger Sicht ist es<br />
befremdlich, wie wenig sich die Organisatoren<br />
und die Mitwirkenden der Interbau<br />
um die Vorgeschichte des von ihnen<br />
bearbeiteten Areals kümmerten. So hätte<br />
es, anlässlich einer Ortsbegehung, nur eines<br />
kurzen Abstechers auf die andere Seite<br />
der Spree bedurft, um der schwer kriegsbeschädigten<br />
Synagoge in der Levetzowstraße<br />
ansichtig zu werden. Sie hatte […]<br />
als Sammelstation und Zentrale für die<br />
Deportation gedient. […] Pierre Vago, einer<br />
der Architekten der Interbau, berichtet,<br />
dass damals keiner der Kollegen die Synagoge<br />
gesehen oder die Geschichte erfahren<br />
habe.“<br />
Auch die Auswahl der Architekten, die jeweils<br />
zu einem Drittel aus Berlin, Westdeutschland<br />
und dem westlichen Ausland<br />
stammten, wurde kontrovers diskutiert, allerdings<br />
aus zweierlei Gründen (vgl. Dolff-<br />
Bonekämper/Schmidt 1999: 24 ff.): erstens<br />
wegen der – wenn auch nicht als NS-Funktionäre<br />
oder bekennender Nationalsozia<br />
listen – vollzogene Berufsausübung einzelner<br />
Architekten während des Zweiten<br />
Weltkrieges und zweitens wegen der generellen<br />
Wahl der Architekten. Die Vielzahl<br />
der beteiligten prominenten Architekten<br />
aus dem In- und Ausland waren bereits in<br />
fortgeschrittenem Alter und stand für das<br />
Gedankengut und die Ideale der Charta<br />
von Athen, die von Gegenströmungen als<br />
veraltet und überholt angesehen wurde<br />
(vgl. Stöbe/Krauss 2008: 12). Durch den politischen<br />
Willen, das Hansaviertel als Sinnbild<br />
für Aufstieg und Bedeutung des Westens<br />
zu etablieren – was mit dem Prestige<br />
und der fraglosen Qualität der Einzelbauten<br />
von z. B. Le Corbusier, Alvar Aalto und<br />
Walter Gropius gelang – wurden diese Gegenstimmen<br />
allerdings ignoriert (vgl. Stöbe/Krauss<br />
2008: 8).<br />
Weitere Kritik bezog sich auf die fehlende<br />
Geschlossenheit und Abstimmung der<br />
Gesamtkonzeption und der einzelnen Gebäude<br />
(vgl. Stöbe/Krauss 2008: 8). Für Gegenstimmen<br />
sorgten auch die hohen Kosten,<br />
verursacht durch den Abriss der alten<br />
Bausubstanz, die notwendige Verlegung<br />
der Infrastruktur, die Kosten für den Kauf<br />
der Grundstücke zwecks Neuparzellierung<br />
und die Errichtungskosten der Gebäude.<br />
Die ursprüngliche Vorstellung der Realisierung<br />
im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues<br />
war durch Baukosten, die pro Quadratmeter<br />
73 Prozent über den Baukosten<br />
vergleichbarer Gebäude lagen, unmöglich<br />
geworden (vgl. Schulz/Schulz 2007: 30).<br />
Nur mit Landesdarlehn, die der Subventionierung<br />
dienten, konnten die Mietkosten<br />
auf das Niveau des sozialen Wohnungsbaues<br />
gesenkt werden (vgl. Schulz/<br />
Schulz 2007: 30).<br />
In der historischen Dimension bildet das<br />
Hansaviertel gleichwohl ein politisches<br />
Dokument im Kontext der innerdeutschen<br />
Teilung, als „Markstein in der von Bauund<br />
Gegenbau geprägten historischen Topographie<br />
Gesamtberlins“ (Dolff-Bonekämper/Schmidt<br />
1999: 198), aber auch als<br />
ein gesellschaftliches Modernisierungsversprechen<br />
entsprechend dem Motto der<br />
Interbau „Stadt von morgen“, als Symbol<br />
von Freiheit, Demokratie und sozialen<br />
Mobilität (vgl. Otto 1957: 35 f.; Makropoulos<br />
2008: 117 ff.; Sewing 2008: 85).