PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />
49<br />
rung. Im Widerspruch dazu wurde dem<br />
verstorbenen Lenin dann aber ein Mausoleum<br />
errichtet und in der Propaganda sein<br />
unverwestes Fortleben beschrieben (vgl.<br />
Saintyves 894–896). Angenendt (1994: 329,<br />
vgl. insg. 328–330) sieht in der Verwendung<br />
von religiösen Mitteln durch die totalitären<br />
Regime die Gefahr verdeutlicht,<br />
die stets von dem Versuch ausgehe, „das<br />
Heilige als Mittel des Weltlichen anzuwenden“.<br />
Er geht sogar so weit, die Politisierung<br />
der Religion, wie sie im 19. Jahrhundert<br />
etwa auch in Form der Sozialreligion<br />
stattfand, als Ursache des Totalitarismus<br />
zu begreifen: Wenn das Heil und der Ewigkeitsanspruch<br />
in der Welt liege, müsse es<br />
notfalls mit aller Macht durchgesetzt werden.<br />
„Die Ersatzreligionen der Modernen<br />
haben Hekatomben von Opfern gefordert<br />
für Werte, die nur eine Generation später<br />
schon vergessen gewesen sind“ (Angenendt<br />
1994: 330). „Politische Erfahrungen<br />
oder Botschaften sind nur schwer über<br />
den Tod einer jeweiligen Generation hinaus<br />
tradierbar“ (Koselleck 1979: 274–275),<br />
wohingegen in der Religion alles menschliche<br />
Handeln von vorneherein unter dem<br />
eschatologischen Vorbehalt der Vorläufigkeit<br />
und Vergänglichkeit bestehe.<br />
Bezüge zur Rekonstruktionsdebatte 1:<br />
Die Bedeutung von Authentizität<br />
Aus den dargestellten Hintergründen des<br />
Phänomens des Heiligenkults und seiner<br />
Sonderform der Reliquienverehrung lassen<br />
sich sowohl Hinweise darauf ableiten,<br />
warum Rekonstruktionen für einen Teil<br />
der Bevölkerung und insbesondere für bestimmte<br />
Teilgruppen „unmöglich“ bzw.<br />
moralisch fragwürdig erscheinen, als auch<br />
Erklärungsansätze gewinnen, warum andere<br />
Wiederaufbauvorhaben unterstützen<br />
und wünschen. Dieser Widerspruch<br />
mag noch einmal den Eindruck verstärken,<br />
dass die Thematiken eng miteinander verwoben<br />
sind.<br />
Eine direkte Verbindung zu dem wesentlichen<br />
denkmalpflegerischen Einwand gegen<br />
Rekonstruktionen, nämlich der Bedeutung<br />
der Materialität für die Echtheit von<br />
Denkmälern und der damit nicht bestehenden<br />
Möglichkeit einer denkmalgerechten<br />
Rekonstruktion, die trotz mittlerweile<br />
vielstimmiger Einwände weiterhin als die<br />
überwiegende Lehrmeinung anzusehen<br />
ist, stellt Tomaszewski (in: Bingen/Hinz<br />
2005: 139–141, vgl. Koch/Koch 2006: 128)<br />
her, wenn er darauf verweist, dass der sich<br />
damit verbindende Begriff der Echtheit<br />
oder Authentizität innerhalb der westlichen<br />
Kultur auf den mittelalterlichen Reliquienkult<br />
zurückzuführen sei. Der Wert<br />
der Reliquie war insbesondere für die Kirche<br />
– nicht zuletzt aus Gründen der Machterhaltung<br />
und zur Festigung der Monopolstellung<br />
im Ablasshandel – wesentlich<br />
bestimmt durch die von ihr bezeugte<br />
Echtheit der Reliquie. Dabei war die Einführung<br />
der Authentiken (Echtheitszertifikate)<br />
bereits eine Reaktion auf eine gängige<br />
Fälschungspraxis. Angesichts einer<br />
Vielzahl mehrfach „vorhandener“ und als<br />
echt beglaubigter Reliquien erster Klasse<br />
ist allerdings davon auszugehen, dass zumindest<br />
Teile der Kirchenoberhäupter einen<br />
lockeren Umgang mit der Echtheit der<br />
Reliquien hatten. Zudem waren die vorwissenschaftlichen<br />
Methoden zur Überprüfung<br />
der Authentizität teilweise auf die<br />
wundermächtige Wirkung der Reliquien<br />
ausgelegt. Gleichwohl besteht auch heute<br />
erhebliche Kritik an den wissenschaftlichen<br />
Methoden der Denkmalpflege, deren<br />
Bewertungskriterien – wenngleich weniger<br />
bei der Bestimmung der Echtheit als bei<br />
der Beurteilung eines fachgerechten Umgangs<br />
– nicht selten auf Wirkung und Augenschein<br />
ausgelegt sind (etwa Rüsch 2001,<br />
vgl. auch das Kapitel zu den Fachdebatten).<br />
Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch<br />
die Argumentation der Kritiker des Reliquienkults<br />
– wie auch allgemein der Heiligenverehrung<br />
– innerhalb der Aufklärung<br />
und Reformation, die ebenfalls wesentliche<br />
Parallelen zur heutigen Debatte aufweisen.<br />
So wurde einerseits die Herabsetzung<br />
der „wahren Heiligen“, insbesondere<br />
der Einzigartigkeit Christi beklagt: Man<br />
denke an die Befürchtungen um den Bedeutungsverlust<br />
von Denkmalen angesichts<br />
ihrer Reproduzierbarkeit und Überhöhung<br />
in „perfekten“ Rekonstruktionen.<br />
Andererseits tat Luther die Reliquien als<br />
„tot Ding“ ab und forderte stattdessen eine<br />
Hinwendung zu den christlichen Aufgaben<br />
an den Lebendigen – hier wäre sowohl<br />
ein Vergleich mit Forderungen nach Verwendung<br />
der Mittel für Wiederaufbauvorhaben<br />
für unzerstörte Denkmale als auch<br />
für soziale Projekte möglich.